Schild der actio spes unica
actio spes unica Pfarrer Milch St. Athanasius Bildungswerk Aktuell

Sonntagsbrief vom 17. November 1974

Meine lieben Brüder und Schwestern!

 

Der Priester – im Sinne des besonderen Weihepriestertums – ist nicht Vorgesetzter, Pauker, Zensurenverteiler oder Moralpolizist seiner Gemeinde. Zwar lenkt er. Er lenkt durch den alles überragenden Rang der Inhalte, die er mitzuteilen hat. Er lenkt dadurch, daß die von ihm verkündete Wahrheit jene Höhe einnimmt und einnehmen läßt, von wo aus – nach Paulus – alles beurteilt wird, ohne daß sie selbst von irgend jemandem beurteilt werden kann. Er lenkt, indem er Ratlose beraten, Unwissende erleuchten, Zweifelnde aufrichten, Schuldige heimführen, geistig Hungrige sättigen kann. Er lenkt, indem er Fragen beantwortet. Alles im Namen, in der Person des Christus. Als Christus wirkt er. In Ihm hat er sein Recht. Vom Vater hat er den Auftrag. Er ist nicht von der Gemeinde abgeordnet, in ihrem Namen zu wirken. Er ist vielmehr vom himmlischen Vater als der von Ihm Gesalbte abgeordnet für die Gemeinde, ihr Seinen Namen und Geist aufzuprägen. Die Gemeinde, die Kirche – nach dem griechischen Wort "ekklesia" die Herausgerufene, Geweckte – wird vom Priester geweckt zur Höhe, in der er sich seinem Amt und Weihecharakter nach befindet, zur Christus-Höhe. Und kraft des in der Firmung empfangenen Geistes ist die Gemeinde in der Lage, die Botschaft des Priesters zu verstehen, das neue Leben vermehrt zu empfangen und in sich das grenzenlose Verlangen nach immer mehr Inhalten der Offenbarung zu mobilisieren. Die Kindhaftigkeit des Fragens, des Hören-Wollens, der unersättlichen Neugierde läßt die Gemeinde werden, was sie kraft des empfangenen Geistes ist: ein Volk von Priestern, Königen und Propheten durch die lebendige, geistgewirkte, empfangende Begegnung mit dem Priester, der die Gemeinde zu seiner und zu ihrer Höhe emporweckt, emporlenkt. Der Priester: als Christus Verwalter der Geheimnisse, Ausspender von Wahrheit und Leben, weckender Bräutigam der Gemeinde. Die Gemeinde: geistgesalbte, bräutliche Gemeinschaft der Fragenden, Inhalte-Heischenden, Empfangenden, die aus der befruchtenden Begegnung mit dem Priester-Christus in dessen Namen in die Welt gehen: bekennend, betend, umwandelnd, opfernd, schaffend, Beispiel gebend. Der buchstäblich himmel-weite Unterschied besteht nicht, wie oft irrtümlicherweise vermutet, zwischen Priester und Gemeinde, sondern zwischen Getauften und Ungetauften.

Was erwartet die Gemeinde zu Recht von ihrem Priester? Daß er tief überzeugt ist; mit dem, was er sagt, eins ist; Christus völlig ernst nimmt und sich um Seine Nachfolge bemüht; kein Doppelleben führt, durch welches die ewige Wahrheit in Frage gestellt werden könnte. Was erwartet die Gemeinde zu Unrecht von ihrem Priester? Daß er eine gewisse "weihevolle", absonderliche Manier zu sprechen, zu gehen, zu schauen an den Tag legt; makellos und "perfekt" spricht und handelt; einen bestimmten Grad von Sündenlosigkeit "beweist"; die Frommen, Kirchentreuen und Eifrigen bevorzugt und "belohnt".

Was erwartet der Priester zu Recht von den Gliedern seiner Gemeinde? Daß sie keine Uberzeugungs-Komödie spielen, wo keine Uberzeugung herrscht; daß sie wahres Interesse für die Inhalte entwickeln; daß sie fragen und die Neugierde nach Vertiefung der ewigen Wahrheit in sich erwecken; daß sie suchen, um zu finden; daß sie ihm gegenüber im Rahmen liebender Anteilnahme an den wesentlichen Reich-Gottes-Interessen offen und redlich Kritik üben; daß sie die Selbsttäuschung vermeiden, Nörgelei mit Kritik zu verwechseln, jene Schein-Kritik, mit der manche ihren Interessemangel oder ihr Mißbehagen an dem absoluten Wahrheitsanspruch der Kirche zu verbrämen trachten. Was erwartet der Priester zu Unrecht von den Gliedern seiner Gemeinde? Daß sie sich von ihm kommandieren lassen; daß sie ihm zubilligen, Urteil, Lob oder Tadel für "Vollkommenheit" bzw. "Unvollkommenheit" auszusprechen; daß sie sich auf bestimmte Frömmigkeitsformen festlegen lassen; daß sie sich in seiner Gegenwart anders benehmen als sonst; daß sie alles gutheißen, was er tut.

Was im Munde eines Priesters Sünde ist, ist auch im Munde jedes Getauften Sünde. Was sich für den Priester nicht geziemt, das geziemt sich auch nicht für irgendeinen Christen. Es gibt keine doppelte Moral. Du meinst: "Aber bei einem Priester ist das doch alles noch viel schlimmer!" Du vergißt, daß Du gesalbt bist zum Priester, König und Propheten in der heiligen Firmung. – Aus dieser heiligen Salbung ergibt sich für den "Laien" (d.h. Glied des Gottesvolkes; im Griechischen heißt "Laos" Volk) sowohl wie für den Priester keineswegs ein "frommes" Gehabe, so daß er sich nur mit der unmittelbaren Gottbezogenheit befassen müsse in Gespräch und Lektüre. Nein, so sehr alles eingebunden ist in die unbefangen-selbstverständliche Begeisterung für Erlösung und ewiges Glück, so sehr bewahrt er in heiliger Schamhaftigkeit diskret und taktvoll das Licht-Geheimnis seiner Freude. Und nur so kann diese seine Freude lockend und glaubwürdig werden. Automatisch wird ihm alles, was er an irdischen Werten, Schönheiten, Schicksalen und Ereignissen in sich aufnimmt, vom Bannkreis seiner gottmenschlichen Weisheit überwölbt und überstrahlt. Er weiß zugleich, daß es im Grunde unreligiös ist, nur religiös zu sein. Das Kreuz hat seine Senkrechte und seine Waagerechte – beide Dimensionen gehören zum Gottmenschentum. Die Haltung und das Gebaren von Priester und Gemeindeglied stehen im Zeichen "der Freiheit, zu der uns Christus befreit!" Nur aus Freien, die aus ihrer Einzelerfahrung und ihrem Schweigen kommen, kann sich wahre Gemeinschaft bilden. – Im Zusammenhang mit dieser selbstverständlichen Wahrheit habe ich in jener Predigt (besonders am 3.11., 10.30 Uhr) ein gewisses betuliches Frömmigkeitsgehabe kritisiert bzw. parodiert (spöttisch nachgeahmt), in dem Einzelne zuweilen einander begegnen oder in Gruppen einen bis ins Sektiererische gehenden psychologischen Formzwang ausüben. Zu Recht bin ich so deutlich geworden, weil ich nicht verwechselt werden will. Viele, die ehrlich fromm sein wollen, ahnen nicht, welchen Schaden sie dem Gottesreich durch ihre Unklugheit zufügen, indem sie eine Atmosphäre der Unfreiheit, des überladen Auffälligen schaffen. Die neomodernistischen Zerstörer freuen sich über nichts mehr als über jede Gelegenheit, diejenigen als unfrei und vermuckt zu denunzieren, die am wahren Glauben festhalten. Niemand von uns sollte ihnen diese Gelegenheit geben.

 

Herzlichst grüßt Euch alle  Euer Pfarrer Hans Milch.

Schlüsselbegriffe ?
   
Hören
   
Priestertum
   
Pfarrer
   
Frömmigkeit
   
Wahrheit
   
Begeisterung
   
Freiheit
|< Übersicht: Sonntagsbriefe
Weiter: Sonntagsbrief vom 15. Februar 1976 >

Hilfe  •  Suche  •  Was ist neu?  •  Sitemap  •  Impressum  •  Tastatur  •  Konfiguration  •  Webmaster