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Sonntagsbrief vom 24. Dezember 1982

Meine lieben Brüder und Schwestern!

 

Entzückenderes gibt es nicht als ein kleines Kind.

Es ist. Es kann nicht tun, als ob. Es hat keine Ränke und keine Absicht gegen jemanden; will niemanden gegen den anderen ausspielen. Zwar ist es ausgeliefert seinen animalischen Bedürfnissen, kennt Hunger, Angst, Einsamkeit; ist mit allem, was es hat, der Klugheit oder Torheit der Menschen ausgeliefert, die seine tierischen Instinkte – in sich etwas sehr Gutes! – zum Tyrannen machen können oder zum gefügigen Diener, je nach dem.

Sein Geist aber leuchtet, ohne sich selbst zu bemerken; er strahlt im Liebreiz des Lächelns, in der Unschuld der Hingabe, in allem ganz wahr, ungekünstelt: Wie eine Rose, die – nach den Worten des Angelus Silesius – "blühet ohne Warum".

Das reine, durch keine Bosheit, Niedrigkeit überlagerte SEIN, das ist das KIND!

Willst Du wissen um das SEIN des Menschen, so schau ein Kind an! Wie schnell geht dieser Zauber des Ursprünglichen, der unberührten Landschaft des ersten Schöpfungstages dahin! Wie schnell wächst das Kind leiblich heran, und zu dem Wachstum gesellt sich alles, was wir die Folgen der Erbschuld nennen; wie schnell entstellt sich der feine Adel des ersten Antlitzes zum Groben, stellt sich das Gewöhnliche ein! Die belastete, unedle Umgebung färbt ab, und rascher als der Eltern beflissene Ermahnung wirken ihre Laster unmerklich auf die Seele des Sohnes oder der Tochter! O Rest des verlorenen Paradieses – erste Monate des Menschen, seines Gesichtes, seiner Gebärden, seiner selbstverständlich-unmittelbaren Zutraulichkeit, seiner wahren Angst und Ahnung, zugleich seiner wahren Unbekümmertheit. Das Reich des kleinen Kindes und seiner Seele ist das Reich der wahrhaftigen Wahrheit!

Das Kind zeigt an der Welten Tiefe, und es klingt Wagners Wort mir im Ohr, da er das "Droben" vergleicht mit dem tückischen Tage des "gereiften" Mannes, der "gereiften" Frau: "Traulich und treu ist's nur in der Tiefe; falsch und feig ist, was dort droben sich freut!"

Im Kinde ist noch die traulich-treue Tiefe! —

 

Verstehen Sie, meine Brüder und Schwestern, warum GOTT KIND wird? Warum Er Sein SEIN offenbaren muß – vorgängig zu jeglichem Wort und jeglicher Tat?

Zwar wird sein Wort einmal nicht die Tiefe überlagern und feige verfälschen, sondern herrlich zum Klingen bringen in unsagbaren Worten der Weisheit und Liebe, die kein Menschenverstand je erdichten konnte. Die Seinshaftigkeit Seiner ersten Kindesmonde bewahrt Er und bringt sie zur Vollendung. SEINE Reife ist die Reife, welche nicht – wie allermeist bei den Menschen – die Tiefe hinter sich läßt und sich des Banalen rühmt (der stumpfe Hochmut so vieler "vernünftiger" Erwachsener), sondern die Tiefe und Reinheit des Kindseins zur paradiesischen Entfaltung bringt!

"Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so könnt ihr nicht eingehen ins Reich der Himmel!"

Und Er, der Gott-Sohn, der Mensch wird, sollte nicht Kind werden, um das stumme, urweltlich-reine SEIN zu weisen?! —

 

Wir preisen Deine heiligste Kindheit, Herr, und beugen und knien uns nieder vor der Krippe anbetend. Beschämt uns schon der Anblick der Kindesreinheit überhaupt, wie beschämt und doch ohne Angst können wir Dir nun nahen in der Liebkosung des Geistes!

Herr, Kind, komm, erbarme Dich meiner!

 

Die Fülle weihnachtlicher Gnaden einem jeden Einzelnen von Ihnen und all Ihren Lieben, den Kranken voran!

 

Ihr priesterlicher Freund  Hans Milch.

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Kinder
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