Startseite Menü einblenden Übersicht: Sonntagsbriefe 07.05.82 06.06.82 Drucken
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern!

 

Unsere Erlösung besteht wesentlich darin, daß unser ganzes tägliches Leben mit seinen Leiden, Arbeiten, Sorgen und Mühen, Gebeten und Opfern in Christus ist, wenn wir den Willen dazu jeden Morgen zum Ausdruck bringen: "Alles an diesem Tage, Herr, geschehe in Dir! Alles, was ich sündigen werde, lösche mit Deinem Erbarmen! Laß weiterwirken und im voraus wirken die gewaltige Übermacht des Lichtes, die ausgeht von der heiligen Lossprechung! Ich bin Dein! Du bist mein!" – So oder noch kürzer gebetet – geschieht es mit Sicherheit, daß alles, was wir tun und leiden, von IHM übernommen wird; Christus rechnet es seinem Ich zu; es gewinnt die Gnadenkraft Seines heiligen Kreuzes, Seiner Passion:

"Ströme lebendigen Wassers" gehen aus von dem, der seinen Tag in Christus leben will.

Aber vermischt mit dieser guten Meinung wühlt und wirrt, stört und treibt ihr Unwesen in der Tiefe unseres Willens die schlechte Meinung, das Ja zur Welt, zur "Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens", das starrsinnige Beharren auf dem Eigenwillen, die Rebellion, die Verweigerung, das Böse! In jedem von uns!

Aus diesem Chaos in der Tiefe des weithin Unbewußten entstehen die "unzähligen Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten" (Opferungsgebete der heiligen Messe) und haben zur Folge, daß – wenn nicht durch die Todsünde unser ganzes Sein – doch ein Teil unseres Daseins hinüberhängt zur Welt hinaus, nicht drinnen ist, sondern draußen; daß also ein Teil unserer Leiden nicht eingebunden ist in Christus und nicht unter dem Wort steht "Denen, die Gott lieben, gereichen alle Dinge zum Besten! bzw. unter dem Wort "Ich ergänze an meinem Leibe, was an den Leiden des Gottmenschen noch aussteht, für Seinen Leib, die Kirche!" bzw. "Wer mir anhangt, aus dessen Innerem werden Ströme lebendigen Wassers fließen!", das heißt Gnadenstrahlen, die irgendwo Menschen, die wir nicht kennen und die von uns nichts wissen, aufrichten, stärken, erleuchten, trösten!

Durch unsere täglichen Sünden fügen wir uns also die Strafe zu, daß ein Teil unserer Leiden nicht von IHM übernommen wird, sondern draußen bleibt und ins Sinnlose absinkt, ins Nichts. Durch den Ablaß, das heißt durch den Nachlaß dieser Sündenstrafe, geschieht es, daß nach empfangenem Erbarmen nicht nur unsere Ichtiefe mit Christus wieder vereint und die Störungen im Du-zu-Du mit Christus behoben werden, sondern auch der fällige Leidensteil, den wir ins Nichts hinein verspielt haben, zurückgeholt wird in die Macht, Gnade und Sinngebung des Gottmenschen:

Unser ganzes Dasein gerät wieder in Christus!

Diesen Ablaß, uns gewährt durch den Sühneschatz Christi und der Heiligen, gewinnen wir in dem Maße, wie wir nach ihm verlangend das unendliche Erbarmen des Herrn in vertrauensvoller Demut anrufen und Ihn bitten, unseren Sinn zu ihm zu wenden und unsere Interessen auf Seine Mitte zu beziehen!

In der frühen Kirche wurde dieses Sich-außerhalb-des-Christus-setzen durch schwere Vergehen deutlich im Ableisten der fälligen zeitlichen Sündenstrafe, die nicht durch Ablaß erspart und erlassen, sondern auferlegt wurde: Der Schuldige mußte eine bestimmte Zeit außerhalb des Opfergeschehens verweilen, was der noch in wahrem Glauben Lebende als Verbannung ansah. Dieses schmerzliche Bewußtsein der Verbannung vom höchsten Glück, beim höchsten Geschehen dabei zu sein, weckte um so mehr das Verlangen und richtete die Geist- und Seelentiefe auf das "Eine, was not tut".

Alsbald erkannte man, daß ein solches Ableisten der zeitlichen Sündenstrafe angesichts des ungeheuren Sühneschatzes, welcher durch die Hingabe des Gottmenschen und Seiner mystischen Glieder in der Kirche hinterlegt ist, erlassen werden kann. Dieses Erlassen ist eben der Ablaß.

Hier freilich kam eine Praxis auf, die das Gewähren dieses Ablasses leider mehr an ein gewisses Verrichten von Gebetsleistungen knüpfte statt an die innere Umstellung der geistigen Interessen und an das Verlangen des Geistes nach IHM und Seiner gottmenschlichen Tat.

"Gott ist Geist, und die Ihn anbeten, müssen Ihn anbeten im Geiste und in der Wahrheit!"

Immer kommt es auf die Grundrichtung und Leidenschaft des Geistes an!

 

Von Herzen grüßt Sie alle

Ihr priesterlicher Freund Hans Milch.