Startseite Menü einblenden Übersicht: Predigten Vorige Nächste Drucken
Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
5. Sonntag nach Pfingsten 1984 (Primiz von Pater Tilo Müller)
Schild der actio spes unica

Hochwürdiger, lieber Herr Primiziant, hochwürdige Herren, meine lieben Brüder und Schwestern,

 

zum Priester beruft Gott. Christus ist es, der einen Menschen auserwählt, der es auf einen Menschen absieht, um ihm unabsehbare Vollmacht, atemberaubende Macht, Zuständigkeit, himmlische Zuständigkeit zu verleihen.

Warum wird einer zum Priester berufen? – Weil Gott ihn berufen will! Es gibt keinen anderen Grund für die Berufung. Wenn einer die nötigen Fähigkeiten aufweist, um sein Priestertum zu entfalten und zu vollziehen, dann ist er nicht dieser Fähigkeiten wegen auserwählt, sondern er hat diese Fähigkeiten, weil er auserwählt ist! Gott beruft! Gott in Seiner Freiheit und aus Seiner Freiheit heraus hat Dich, lieber, hochwürdiger Primiziant, erwählt. Er will Dich, auf daß Du in Seinem Namen, in Seiner Kraft, in Seiner Person, in der Person des Gottmenschen als Christus zu wirken und zu sprechen vermagst! Und Du bist auf Seinen Ruf eingegangen aus Deiner Freiheit heraus, die Gott Dir in Seiner Gnade ermöglicht hat. Und da sich nun Freiheit und Freiheit, Berufung und Annahme der Berufung, Auserwählung und das JA–Wort zur Auserwählung gefunden haben und eins geworden sind, bist Du eingegangen, lieber, hochwürdiger Neupriester, in die Notwendigkeit des Gottmenschen und in die Notwendigkeit des innerdreifaltigen Lebens.

Wir werden eingeladen, Du und ich, wir alle. Aber in besonderer Weise, in hervorragender, in ausgesonderter, in emporgehobener Weise wird der Priester gefragt: Willst du? – Solange ist Freiheit. Wer aber JA sagt aus seiner Freiheit heraus und seine Freiheit entfaltet, der ist nunmehr identisch mit Christus und sein Dasein ist unverwechselbar verbunden und identisch mit Christus und mit dem Willen des Gottmenschen, mit der Weisheit des Gottmenschen, mit Seiner Wahrheit, mit der katholischen Wahrheit und mit der katholischen Kirche. Immer wenn ein Mensch zum Priester geweiht wird – und wir erleben es mit großer Begeisterung und Mitfreude, daß Tilo Müller zum Priester geweiht worden ist und heute in unserer Mitte das heilige Opfer vollzieht –, da ereignet sich Epiphanie. Gott erstrahlt wiederum im Menschen. Er leuchtet auf, will aufleuchten im Menschen und von diesem Menschen, Tilo Müller, ganz Besitz ergreifen. Unverwechselbar und unentrinnbar soll Tilo Müller von nun an gesehen werden, ineins mit Christus. Und das Schicksal, das der menschgewordene Gott in dieser Welt erfährt, ist sein Schicksal. Er ist gebunden an die ewige Wahrheit, die von der Welt gehaßt wird. Er ist gebunden an diese ewige und große, einzige Wahrheit, dem Zeichen, dem man widersprechen wird, zum Falle und zur Auferstehung vieler in Israel, Ereignis des Aufstrahls Gottes im Menschen. Es verwirklicht sich Kirche.

Denn, meine lieben Brüder und Schwestern: Was ist Kirche? – Kirche: das ist Christus in Seinem Opfer, Christus in der Verkündigung Seiner Wahrheit. Und Kirche heißt, daß Gott Mensch geworden ist, daß Er in sichtbarer Weise unter uns wirkt, Sein Wort sagt, Seine Freundschaft anbietet, als großes DU aufragt, frei, unabhängig, vorgegeben. Vor Dir, vor mir hat Er Dich und mich zuerst geliebt: Christus in Seiner Hingabe, in Seinem Angebot, in Seinem freiesten Angebot, Christus in Seinem Opfer zum Vater hin für die Menschen – in vollkommener Freiheit. Denn Er opfert Sich für Dich unabhängig von Dir! Er braucht Dich nicht, Er braucht mich nicht. Aber weil Er Dich und mich nicht braucht, ist Er umso sicherer, umso totaler, umso flammender für Dich!

Ich brauche den, der mich nicht braucht. Christus braucht mich nicht. Gott sei Dank – ich bin erlöst! Er ist für mich da. Dieses Angebot des Gottmenschen im Opfer und die Annahme des Opfers, die vollkommene, reine, ungetrübte, ungebrochene Annahme dieses Opfers durch Maria, fortgesetzt durch die Zeiten hindurch, unabhängig vom Wechsel der Zeiten: das ist die katholische Kirche! Das Opfer des Christus, der gegenwärtig ist im Priester, und die Annahme des Opfers durch den gegenwärtigen Gläubigen, der repräsentiert wird durch den Chor, der die Worte und Taten des Herrn im Herzen bewahrt und bewegt, und somit Maria darstellt. Der Chor kommentiert, betrachtet, kontempliert, meditiert das heilige Geschehen und die heiligen Worte. Das ist das heilige Opfer und das ist die Kirche: Christus und Du, Sein Opfer und Du, Sein Angebot und Deine Freiheit!

Und es gibt nur die Freiheit des je einzelnen. Die Freiheit kennt kein WIR, die Freiheit kennt kein MITEINANDER – die Freiheit kennt nur ICH und DU! Und darum ist die heilige Messe, das Opfer des Herrn, kein Gemeinschaftsereignis, sondern es ist die Tat des Gottmenschen vollzogen durch den, in dem der Gottmensch wirken will – seit dem 1. Juli nun auch in Tilo Müller, der die Fähigkeit hat als Christus, in der Kompetenz, in der Zuständigkeit des Christus zu reden und zu wirken und zu tun, was Christus tut, Sein Opfer zu vollziehen. Vom gültigen nicht nur, sondern vom rechtmäßigen Bischof Marcel Lefebvre geweiht, gesandt, verwandelt, hineingenommen in das Haupt: Christus!

Durch die Taufe – verstärkt, intensiviert durch die Firmung – sind wir Glieder des geheimnisvollen Leibes des Gottmenschen. Der Priester ist hineingenommen in das Haupt, um als Christus zu wirken. Durch Taufe und Firmung begegnen wir Christus wie die Braut dem Bräutigam. Die Seele ist die Braut. Darum sagt der hl. Augustinus auch im gleichen Sinne, wie ich es eben meinte: "Gott und die Seele, sonst nichts." Und die Seele des Menschen, die "anima", die bräutlich Christus zugewandte Seele wird am reinsten, universal für jeden einzelnen verwirklicht in Maria. Und der zum Priester Geweihte ist, weil er im Haupte ist und als Haupt wirkt und spricht, eben auch der Bräutigam, der in heiligem, göttlichem Eros darauf aus ist, die Seele des Menschen zu beglücken, hinaufzuheben, zu befruchten, zu beleben, zu begeistern und auf die Höhe, seine Höhe, emporzuheben – Bräutigam und Braut!

In der Tat wirkt der Priester als Christus völlig unabhängig von seinem persönlichen Gnadenstand, ob er im Stande der Gnade, erfüllt vom göttlichen Leben und vom Hl. Geiste, ist oder nicht. Aber zugleich ist mit der Priesterweihe jene Gnadengabe gegeben, die ihn befähigt, ganz und gar als Christus zu denken und zu leben und mit Seiner Liebe zu umspannen Gott und die Menschen, den Vater und die Menschen. Das ist die heilige Spannung, in der der Priester als Christus lebt, als der, der den Gottmenschen verwirklicht, der Göttliches und Menschliches in sich vereint, nicht etwa zwischen Gott und die Menschen gesetzt ist. Das ist ein arianischer und völlig falscher Begriff vom Priestertum. Der Priester ist nicht etwa weniger als Gott und mehr als die Menschen – es gibt nichts Falscheres als eine solche Vorstellung! – , sondern er umfaßt Gottheit und Menschheit in sich! Das Mittlertum des Neuen Bundes ist ein UND und steht im Zeichen des Umfassenden und Universalen. Es ist nichts dazwischen! Und der Priester muß diese Spannung aushalten, sich an alle Tische setzen, demütig jedem begegnen als Bruder, auch dem letzten, dem verkommensten, dem schlimmsten Verbrecher, wissend, daß jegliches Verbrechen, wo man es auch vorfindet, nur ein Signal ist für Deine und meine inneren chaotischen Möglichkeiten, wie Christus gezeigt hat, daß Er demütiger Bruder ist jedes öffentlichen Sünders, jedes einzelnen, der von der Masse verschrieen, verachtet und mit Naserümpfen bedacht wird. So nicht der Christ, schon gar nicht der Priester!

Er ist es, der das Zeichen der fraglosen, vorbehaltlosen, bedingungslosen Liebe setzen muß zum Menschen; und zugleich muß er reden ganz aus dem Göttlichen heraus, tief vertraut mit Gottes Gedanken, tief eingeweiht in die Weisheit Gottes, in das, was im innerdreifaltigen Leben bebt und liebt und weht. Davon muß er durchdrungen sein, ein Behauster des innerdreifaltigen Lebens, er, der aus dem Schoße des Vaters in Christus Kunde gibt, und offen, wie der hl. Johannes sagt, offen vom Vater redet. Ganz in Gott, aber auch ganz zum Menschen hin: diese Spannung auszuhalten, durchzustehen und nicht nach der einen oder anderen Seite abzukippen in die bequemere Einseitigkeit ist heilige Auflage und heilige Last des Priesters! Es besteht immer die Gefahr, daß er entweder sich im Menschlichen, dann im allzu Menschlichen verliert und nur noch in sogenannter "Gemeinschaft" sich bewegt, die selbstverständlich gar keine ist – oder er zieht sich vollkommen zurück, verschließt sich vor den Menschen, um ganz im Raume seiner eigenen Beliebigkeit heiligen Gedanken zu frönen. Beide Extreme sind falsch! Beides muß er vereinen. Beides muß er in sich verkraften, um, wenn er den Menschen begegnet, durch sein Sein, durch seine Ausstrahlung zu beweisen: Hier komme ich im Namen des Herrn, komme ich im Namen Seiner bedingungslosen Liebe; aber ich komme auch im Namen Seiner absoluten, konkurrenzlosen, unablösbaren Wahrheit, die keiner Mode und keiner Zeitströmung unterworfen ist!

Deine Weihe, lieber, hochwürdiger Herr Primiziant, und Deine Primiz fällt in eine Zeit innerkirchlicher Katastrophe. Der Innenraum der Kirche, der offizielle Raum ist zweifellos besetzt und beherrscht von antichristlicher Ideologie. Alles noch so Gute im offiziellen Raum ist hinter dieses schreckliche Vorzeichen geraten und dadurch dem Nichts preisgegeben. Ein grauenhafter Zustand! Ein Zustand, der gedeutet und der entlarvt werden muß! Es wird einmal in die Annalen der Kirchengeschichte eingehen, entweder in der Ewigkeit – auf jeden Fall in der Ewigkeit – vielleicht aber auch schon in dieser Zeit, diese Deine Weihe, dieses Dein Bekenntnis, Dein unbedingtes Bekenntnis gegen die Masse.

Deshalb bitte ich Dich nun als Dein unwürdiger Mitbruder: Tritt an im Zeichen großer Begeisterung, im Zeichen großer Liebe. Liebe und Weisheit sind ja eines. Es kann keiner die Weisheit haben, wenn ihn der Eros nicht drängt zu den heiligen Geheimnissen. Er muß geradezu entflammt sein und darauf erpicht, immer tiefer einzudringen. Nicht aufhören!

Und ich bitte Dich: Nimm Dir mit rücksichtsloser Gewalt – denn es ist Dein eingeborenes Recht, und kein Mensch auf dieser Welt hat Dir dieses Recht streitig zu machen! –, nimm Dir mit rücksichtsloser Gewalt die Zeit, Dich hineinzuversetzen in die Wahrheiten, zu studieren, zu meditieren und zu kontemplieren! Laß Dir die Zeit nicht rauben! Hebe Dein Haupt – dieses Recht ist Dir mit der Weihe gegeben – gegenüber allen Versuchen, Dich hin- und herzuschleudern und Dich von der Versenkung in das Notwendige abzuziehen! Denn wenn Du nicht tief vertraut bleibst mit den Quellen, wird alle Deine Aktion ins Leere gehen, ins Verlorene, ins Nichts. Und auch der sogenannte "Gehorsam" wird dann keine ersatzgebende Rückenstütze sein – sondern nur Dein persönlicher unbedingter Wille, Dir die Zeit zu nehmen, tief zu atmen und in langem Atem einzusaugen die ewige Wahrheit!

Mach Dich mit dieser Wahrheit vertraut! Die Liebe zur Wahrheit ist die Liebe zu Gott und die Liebe zum Menschen. Denn wie könnte ich den Menschen lieben, wenn ich nicht darauf bedacht wäre, ihm das höchste Glück, das Gottmenschentum, weiterzugeben, ihm einleuchtend zu machen und es ihm zu sagen! Und wenn ich dem Menschen dieses höchste Glück im Zeichen der unentrinnbaren auferlegten Liebe mitteile, dann ist damit unweigerlich verbunden – Kampf! Wenn ich die Wahrheit nenne, muß ich auch sagen, was nicht wahr ist! Wenn ich für die Wahrheit eintrete, muß ich auch deutlich machen, wo ihre Grenze ist. Denn nur von der Abgrenzung gegen das Nichts her kann die ewige Wahrheit ihren Strom in die Unendlichkeit hinein beweisen und antreten. Und darum gibt es keine Liebe – schon gar nicht in der heutigen Zeit – ohne Kampf! Du sollst ausreißen und pflanzen, niederbrechen und aufbauen!

Es gibt ein törichtes Wort, das die Runde macht: "Wir lieben nur, wir kämpfen nicht." – Dann zeige mir mal Deine Liebe ohne Kampf. Sie ist vielleicht eine sentimentale Farce – mit der Liebe des Christus hat eine Liebe ohne Kampf nichts zu tun, meine lieben Brüder und Schwestern und mein lieber, hochwürdiger Herr Neupriester! Wenn ich wahrhaft liebe, dann sträube ich mich gegen alles, was mir meine Liebe und mein Glück streitig machen will. Und ich bringe den Betrogenen und Verzweifelten Trost, wenn ich ihnen sage, wo die Lüge, wo der Irrtum und wo die Wahrheit zu finden ist. Ich würde meine höchste Liebespflicht versäumen, würde ich und wollte ich auf den Kampf verzichten!

Darum bist Du zum Kampf berufen, zum Kampf gegen die Dämonen, die Dich von Deinem Pfad abbringen wollen. Und wir Priester müssen immer den inneren Kampf gegen Dämonen durchfechten, die es auf uns abgesehen haben, aber auch den äußeren Kampf. Selbstverständlich darf er sich nicht im Negativen erschöpfen – das ist eine Binsenweisheit –, aber nur im Positiven ist auch nicht erlaubt. Beides, das Positive und Negative aufzeigen, deutlich machen, um die Wahrheit in ihrer ganzen, eindeutigen und unverwechselbaren Klarheit darzustellen!

So geh hin und übe Dein Apostolat aus! Gott gebe Dir eine starke Gesundheit, Deiner Seele gewaltige Spannkraft, Deinem Geist umfassende Liebe, heilige Neugierde, das ein für allemal in Empfang Genommene und als Eigentum Genommene immer tiefer kennenzulernen von mal zu mal, wobei jede neue Erkenntnis jegliche je gehabte im je gehabten Sinne bestätigt; von Bestätigung zu Bestätigung gehen und darauf aus sein, es den Menschen mitzuteilen, hinzugehen zu den Menschen aus der Kraft der innigsten Vereinigung mit Christus.

So tritt denn an! Bringe Dein erstes heiliges Opfer dar – das allererste hast Du gemeinsam mit dem Bischof am Tag Deiner Weihe dargebracht –, bringe es nun dar für einen jeden von uns dem himmlischen Vater. Dieser Tag sei Ausgangspunkt einer Laufbahn, die gezeichnet ist von dem Glück der Auserwählung, von dem Glück zu kämpfen, von dem Glück zu lieben und – Gott gebe es! – bald von dem Glück bestätigter und gerühmter Zeuge der heißersehnten Wende zu sein. AMEN.