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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
Weihnachten 1985 (Hirtenamt)
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

vergessen wir nicht, daß wir drinnen sind in Gott, daß nicht wir hier sind und Gott oben, weit entfernt, sondern Er ist der Nächste, d.h. in Dir und in mir. Wir sind hineingenommen in die heiligste Dreifaltigkeit. Daß wir überhaupt das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit wissen, bedeutet, daß wir drinnen sind. Denn nur im Inneren eröffnet sich diese Herrlichkeit, die Herrlichkeit der Liebe, die Herrlichkeit der heiligen Ekstase. Denn der Vater ist entbrannt zum Sohne hin und darum im Sohn; und der Sohn ist entbrannt zum Vater hin und darum im Vater. Und das Drinnensein, die Ekstase, ist der Hl. Geist, der in beiden ist, durch welchen beide ineinander sind und der in beiden ist, im Vater und im Sohne, von beiden ausgeht, und beide sind in Ihm. Und da bist Du drinnen seit der Tauche!

Das bedeutet das Christentum: Wir sind nicht mehr Geschöpfe, die unten Befehle empfangen, um dann hinaufgenommen zu werden. "Gott, der Herr, hat Seinen Diener zu Sich genommen": das ist falsch, sondern das ist in der Taufe geschehen und ist da, ist Deine Wahrheit und Wirklichkeit, und zwar im Sohne zum Vater hin durch den Hl. Geist und im Vater durch den Hl. Geist. Das ist Deine Existenz! Das wird immer wieder und allzu leicht vergessen, indem man so schlechthin von "Gott" spricht. Wenn ich sage "Gott", muß ich es so erfassen, wie der hl. Paulus es faßt: Gott, der eine und wesensgleiche Gott; gezeugt vom Vater der Sohn – derselbe und eine Gott wie der Vater; der Hl. Geist – derselbe und eine Gott wie Vater und Sohn. Aber der Ursprung ist der Vater! Und zu dem hin drängt der Sohn durch den Hl. Geist.

Und unser Dasein im Sohn heißt: Wir sind zum Vater hin gedrängt. Und wenn wir Christus in uns vollziehen, wenn Er in Dir, in mir Gestalt gewinnen soll, dann muß in Dir und in mir Seine Leidenschaft Gestalt gewinnen, die Leidenschaft zum Vater und die Leidenschaft zum Menschen. Diese doppelte gottmenschliche Leidenschaft, die vereinende: sie schafft Leiden. Darum ist Passion im doppelten Sinne des Wortes zu verstehen: Leidenschaft und Leiden! Beide in Liebe zu empfangen und in sich zu vereinen, den beleidigten Vater und die beleidigenden Menschen und mich. Wie aber kann ich mich lieben, der ich durch meine Gleichgültigkeit dem Vater die Leidenschaft des menschgewordenen Gottsohnes ständig verweigere durch meine Oberflächlichkeit? Wie kann ich mich lieben?

Auch das ist mir aufgetragen: mich zu lieben im Zeichen des ewigen Gottesgedankens. Aber die Liebe zum Menschen und zum Vater tut weh und zerreißt von Mal zu Mal das Herz. Es ist die durchbohrte Seite, die durchbohrte Mitte, die das Kennzeichen des Christusdaseins ist. Ich zweifle gar nicht daran, daß mit dem Wort "der liebe Gott" Sie von Kindheit an sehr viel Schönes, Inniges, Verheißungsvolles, Tröstendes gehört haben. "Mein Kind, der liebe Gott wird es machen. Gib dich Ihm ganz hin. Er sorgt für dich." – Ich kann mir denken, daß an diesem Wort sehr viele gute Erinnerungen haften und sehr viele gute Vorstellungen und innere Erfahrungen verknüpft sind bei vielen. Und dennoch ist diese Bezeichnung, meine lieben Brüder und Schwestern, nicht zu dulden! Sie ist eine Verniedlichung. Das Wort "lieb" ist abgeschliffen und hat seine Gewalt verloren. Außerdem ist es in den alltäglichen, scherzhaften, halbspaßigen, langweiligen Sprachgebrauch übergegangen. Sie werden es auf Schritt und Tritt hören, wenn Sie eine Frage stellen, die einer nicht beantworten kann: "Bin ich denn der liebe Gott?" usw. Wir sollten uns dieses Wortes nicht bedienen. So groß und unendlich, unfaßbar ist Gott. Er ist Liebe. Gewiß zärtliche Liebe – aber diese Liebe, die Dich umkost, ist Urgrund, unabsehbarer Abgrund der Liebe, ist Urschoß, ist Feuersbrunst, schreckerregend für den, der des Herrn, des ewigen Vaters, des Ursprungs, im Geiste gewahr wird!

Dann auch immer die Vorstellung: "Hier ist der liebe Gott und dort bin ich." "Der Vater" heißt, daß wir im Sohne "Vater" sagen können. Und mit "Vater" ist nicht Gott schlechthin gemeint, sondern eben der Vater. Und wir können "Vater" sagen im Sohn und mit dem Recht des Sohnes, da wir in Ihn hineingenommen sind. Nicht die Heilige Dreifaltigkeit, die Allerheiligste, ist unser Vater, sondern der Vater ist Dein und mein Vater, da Du und ich in Christus sind! Die Unendlichkeit, die ewige Lichtgewalt, der Urschoß, der aus sich heraus zeugt und gebiert – Zeugen und Geburt ist eines – den Sohn, Sich Selber ausspricht im Sohn, der eins ist mit Ihm. Und vom Vater und Sohn geht aus die Liebe. Und der Ausdruck der Liebe, die Kosung, die Ekstase, ist der Hl. Geist – Feuer, Feuerstrom! Wir können gar nicht groß genug darüber denken! Und erst wenn wir ganz groß darüber denken, dann wird uns auch mit heiliger Furcht bewußt, was es heißt, daß dieser ewige, allgewaltige Gott, vor dem wir erschauern, ein zärtliches, inniges, zutrauliches Kindchen geworden ist, das wahrlich "lieb" ist. Aber wenn wir da "lieb" sagen, muß alles hineingelegt werden an Sturm und Feuer, an Gewalt und Herrlichkeit, damit wir begreifen, was es heißt, daß dies im zärtlichen Gewande hier erscheint!

Man sehe es doch so. Selbstverständlich kann ich die Heiligste Dreifaltigkeit anbeten, wenngleich ich in Ihr bin, und zwar auf seiten Mariens – ganz gewiß – aber dabei nicht vergessen, daß ich nicht draußen bin, sondern drinnen! Und es ist dann sehr wichtig, daß man seine Ausdrucksweise reinigt und überprüft. "Hoffentlich bin ich bald bei Gott" ist nicht richtig, mindestens irreführend. Ich bin es doch jetzt schon! "Hoffentlich nimmt mich der Herrgott bald zu Sich". Man streiche das alles aus seinem Vokabular, weil das falsch ist! Er hat Dich längst zu Sich genommen. Das ist doch ungeheure Freude!

Verborgen noch ist dieses In-Ihm-Sein in Christus durch den Hl. Geist zum Vater hin, im Schoße des Vaters – der Eingeborene, der im Schoße des Vaters ruht. "Ruhen" ist der flammende Ausdruck der Ekstase, des Außer-sich-Seins, weil mit Grenzüberschreitung, Selbstpreisgabe, Selbstentäußerung die große Sabbatruhe gegeben ist. Der Eingeborene, der im Schoße des Vaters ruht, der hat Kunde von Ihm gebracht. Und der Eingeborene, der im Schoße des Vaters ruht, bist in Christus seit Deiner Tauche, da Du von außen ins Innen getaucht bist – Du! Du bist vergöttlicht! Denn Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch vergöttlicht werde. Noch ist es verhüllt, noch merken wir es nicht. Daß wir es nicht merken, ist das Kreuz, ein geheiligtes Kreuz. Du bist Medium unabsehbarer Ströme des Hl. Geistes, die von Dir ausgehen in die Welt!

Man hört es. Man findet es schön. Man geht nach Hause. Und dann ist es wieder wie immer: Der liebe Gott, da oben, der einen irgendwann zu sich nimmt. Und ich bin unten das Geschöpf und muß mich anstrengen, daß ich Ihm gefalle, denn Er guckt zu, ob ich auch schön brav bin. – Ich flehe Sie an: Suchen Sie sich stille Stunden, um sich von dieser mohammedanischen Wahnvorstellung zu reinigen. Drinnen bist Du, DRINNEN!

Sehen Sie, es wird oft gesagt, man soll keine hohen Gedanken haben, daß würde nur zum Hochmut verführen, man soll sich klein und bescheiden begnügen mit einfachen Linien. – Daran ist nichts wahr! Im besten Falle ist es eine sehr schlechte Ausdrucksweise für das, daß man langsam hinaufsteigen muß, und selbst das ist eine falsche Ausdrucksweise. Ich muß mich hinaufführen und einweihen lassen in Ihn. Und ich muß von dem ausgehen, was ich aus mir bin, nämlich nichts. Und ich muß von mal zu mal, von Licht zu Licht mich einführen lassen, denn ich selbst kann auch keine Leiter emporsteigen. Der Hl. Geist muß mich ziehen durch die Kraft des Vaters in Christus. Und darum muß ich mich führen und ziehen lassen.

Während das geschieht, wäre es unangebracht, allzu vorschnell höchste Gedanken auszusprechen, die sich noch nicht stark in mich hineinbegeben, die mich noch nicht in sich hineinverwandelt haben. Nicht allzu vorschnell unverdaut und unzerkaut etwas für sich in Anspruch nehmen, wozu man noch nicht hinaufgelangt ist durch Ihn: so ist das zu verstehen. Aber eine Grenze setzen? – Nein! Die höchsten Gedanken sind gerade hoch genug! Und das kleine Sich-Bescheiden ist kein Auftrag, mit dem Christus Sich identifizieren würde. Er will in Dir Dich zum Höchsten, zum Ewigen und Unendlichen immer mehr führen! Und der unendliche, menschgewordene Gott, der die Gestalt von Raum und Zeit annimmt, um in Dich hineinzukommen, Er will Dich über alle Grenzen hinausheben im Geiste und in der Wahrheit. Und in Ihm sollst du eben den Vater anbeten im Geiste und in der Wahrheit.

Schiller läßt in einem Gedicht zwei Wanderer einander begegnen, die einander warnen: "Steh, geh nicht weiter! Vor dir Unendlichkeit. Hinter mir Unendlichkeit." Und dann heißt es: "Senke nieder Adlergedank dein Gefieder!" – Das ist die andere Unendlichkeit, auf die Du und ich nicht angewiesen sind! Das ist die Zeit, die nicht aufhört, und der Raum, der kein Ende findet. Das ist die "schlechte Unendlichkeit", die "schlechte Ewigkeit", wie die Philosophen sagen. Aber die wahre Unendlichkeit und die wahre Ewigkeit ist Dein und mein! Der Adlergedanke braucht sein Gefieder nicht zu senken. Er darf hinauffliegen, wie es im Psalm heißt: "Wer auf den Herrn vertraut" – d.h. sich Ihm hingibt – "wird neue Kraft finden, daß er auffährt mit Flügeln wie Adler." Die wahre Unendlichkeit ist Dein!

Und die einfachen Hirten, die offenen Sinnes waren, wurden des Höchsten inne, des Höchsten gewürdigt. Und die Unendlichkeit ward ihnen zuteil, als Licht sie umflutete und durch den höchsten, erregendsten Ratschluß Gottes diesen einfachen, erdvertrauten, Atem in Atem mit der Erde wohnenden Hirten gesagt wurde: "Euch ist heute der Erlöser geboren." Für Dich ist Er geboren! Und dann ist eben alles gut. Hinter diese Feststellung "Dir ist Er geboren; Er ist Mensch geworden; Er geht zum Vater für Dich, um Dich hineinzunehmen in diesen Kreislauf, ausgegangen vom Vater, zurückkehrend vom Vater, daß du mit Ihm und in Ihm zurückkehrst" gibt es kein "Aber" mehr und kein Hinzufügen und kein "Wenn" und keinen Relativsatz und keinen Konditionalsatz und kein Komma: Da gibt es nur ein Ausrufezeichen und nichts darüber hinaus! Damit ist dein ewiges Glück besiegelt! Du mußt nur verwegen "JA" sagen, unbekümmert, mit heiliger Unbekümmertheit wie diese Hirten, die sagten: "Daraufhin laßt uns nun gehen. Wir ziehen die Konsequenz. Wir wollen schauen." "Und als sie schauten", heißt es, "erkannten sie."

Und die, die die Menschheit repräsentiert und in sich vereint, ist Maria. Maria vollzieht das schlechthin Menschengemäße und Wesenhafte. "Sie bewahrt all diese Worte und bewegt sie in ihrem Herzen." Sie hat da nicht ihr Gebet verrichtet und hat nicht ihre Pflicht erfüllt, sondern sie kam davon nicht mehr los! "Sie bewahrte diese Worte": das ist das konservative Element – "conservare – bewahren". Aber "sie bewegte sie in ihrem Herzen", d.h. in ihrem Herzen wächst das Gehörte zu immer höherer Einsicht und gestaltet mehr und mehr ihr Dasein. So ist es Dir und mir aufgetragen!

Man glaube nur nicht, daß der Gottmensch, der für Dich Kind geworden ist, Sich damit begnügen könnte, daß Du Gebete verrichtest morgens und abends. Er ist hineingefahren als das ewige, überselige Schicksal in Dein Dasein! Denkst Du etwa, davon könntest du loskommen, mit Pflichterfüllungen wärst du davon los? Aber es darf Dich nicht loslassen. Du mußt es bewegen in Deinem Herzen, daß es wächst! Das ist das Entfaltende, Progredierende, Voranschreitende, wozu der Same in Dich eingesenkt ist, daß er wachse.

So lehrt es uns die heilige Szene der Hirten, die aufbrechen im Licht zum Licht, von Licht zu Licht erfüllt und beseligt. Sie haben die ewige, bräutliche Mutter geschaut und sie haben Gott gesehen – wie Du! Also denn. AMEN.