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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
19. Sonntag nach Pfingsten 1986
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

also ein Einschub in den Zyklus, der mir notwendig erscheint angesichts relativ verbreiteter Verwirrung und Irrung gerade auch in den Reihen derer, die treu sein wollen. Da ist vieles aufzuarbeiten; aber lassen Sie mich zwei Gesichtspunkte heute beleuchten.

Sehen Sie, zum Quatembersamstag ist das Evangelium aus Lukas und bringt folgendes Gleichnis des Herrn: Jemand hatte einen Feigenbaum in seinem Weinberg. Er kam und suchte Früchte, fand aber keine. Er sprach zum Weingärtner: "Sieh, schon drei Jahre sind es her, daß ich komme und Frucht suche an ihm, finde aber keine. Hau ihn um; was soll er noch den Platz einnehmen." Jener entgegnete ihm: "Herr, laß ihn noch dieses Jahr stehen; ich will dann rings um ihn aufgraben und Dünger einlegen, vielleicht bringt er dann Frucht; wenn nicht, so magst du ihn umhauen lassen."

Das ist ein außerordentlich bedeutsames Gleichnis. Es macht deutlich, was es mit dem Moralismus auf sich hat, den man gar nicht nachdrücklich genug bekämpfen kann, weil er antichristlich ist. Der Moralismus ist eine Einstellung bzw. Auffassung, die den entscheidenden Wert, den primären Wert auf moralisches Verhalten legt. Danach ist alles dazu da – alles: die Unternehmungen Gottes, Seine Menschwerdung, Sein Kreuzestod, Seine Auferstehung, die Geistsendung –, alles ist dazu da, daß der Mensch moralisch aufgebessert werde. Das ist ein antichristlicher Irrtum. Der Sauerteig des Pharisäers ist das! Davon müssen wir uns abwenden, restlos! Auch die Vorstellung, die seit Jahrhunderten verbreitete und bewußt verbreitete Vorstellung, daß man in den Himmel komme, weil man die Gebote hält, und damit man die Gebote hält, braucht man die Sakramente – die Sakramente sind dann also Mittel zum Zweck, daß wir die Gebote halten, und das ist das Entscheidende danach, und durch das Halten der Gebote kommen wir in den Himmel: das ist Islam! Das hat mit Christentum nichts zu tun, meine lieben Brüder und Schwestern, und ist eine sehr verbreitete, grundfalsche Position – grundfalsch! Die Sakramente sind kein Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck, Wert in sich! Der Mensch wird vergöttlicht, damit er vergöttlicht wird. Daraus ergibt sich dann, wenn Sie so wollen, eine Moral, die weit über der Buchstabenmoral der bloßen Gesetzeserfüllung stehen muß. Das gilt für alles. Wenn ich eine moralische Forderung für sich selber betrachte, in sich selber, dann gehe ich gern in die Irre. Um einen Menschen dahin zu bringen, daß er moralisch lebt, geht es darum, sein Selbstbewußtsein zu erhöhen, ihn hinaufzuheben, ihm weite Sicht und Weisheit zu gewähren, ihn einzupflanzen in Christus und sein Dasein zu füllen mit einem hohen Selbstbewußtsein, mit einer großen Souveränität und Freude des Geistes! Dann wird er tun können und verstehen können, was er zu tun hat, warum es zu tun ist.

Sehen Sie, was ist das mit dem Feigenbaum? Der Feigenbaum bringt keine Früchte. "Also hau ihn ab", sagt der Chef. Und der Winzer antwortet: "Nein. Drumherum graben, das Erdreich lockern und Dünger geben: dann kann er auch Frucht bringen. Mit Umhauen ist da gar nichts getan." – Sehen Sie, ringsum erleben wir ein Grauen sondergleichen, eine himmelschreiende, millionenfache Beleidigung Gottes. Ich spreche von dem Mord des Menschen im Schoße der Mutter, der millionenfach begangen wird. Es graust einen, es ist entsetzlich: erstens, was an diesen Menschen geschieht, denn sie leiden Schmerz dadurch, zweitens wird der Schöpfer beleidigt, das Leben wird beleidigt geradezu. – Wie komme ich dahin, dies zu ändern? Es wird also sehr oft gesagt, auch von seiten der kirchlichen Offizialität, daß dies Mord sei. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, vom Papst oder vom Kardinal Höffner oder von anderen, das ist Mord und muß entsprechend verhindert bzw. geahndet werden. Richtig! Nutzt es etwas? – Gar nichts. Diese Hinweise nutzen nichts. – Würden schärfere Gesetze etwas nutzen? – Nein, auch das nicht. – Was muß geschehen? – Es muß das Bewußtsein gebildet werden! – Durch wen kann allein das entsprechende Bewußtsein, die Atmosphäre der Weisheit, das Umfeld des Erlebens und der Geisterfahrung gebildet werden? – Durch die Kirche! Nur ist die katholische Kirche seit zwanzig Jahren nicht präsent. Sie ist einfach nicht aktiv, sie ist nicht da, sie ist nicht im Einsatz, sie bringt sich nicht ins Gewicht. Sie bildet keine Maßstäbe und kein Bewußtsein. Denn die bloße Behauptung "das ist Mord" ist zwar richtig, führt aber zu nichts, weil sie punktuell dasteht ohne das Umfeld eines weisheitsgetränkten Bewußtseins.

Sehen Sie: Von klein auf, von der Schule her, von den Medien her, im allgemeinen gesellschaftlichen Bewußtsein wird heute die Frau hingestellt als ein variierter Mann, als ein eigenes, spezielles Exemplar von Mann mit einem punktuellen Unterschied. Sie hat dasselbe zu tun. Sie bringt sich erst zur Geltung in dem Maße, wie sie fungiert wie ein Mann: wenn sie beruflich tätig ist und wenn sie entsprechende Genüsse hat und sich in allem so gebärdet wie der Mann. Außerdem wird das unsagbar dämliche Wort "Lebensqualität" ins Spiel gebracht. Damit meint man dann eine entsprechende, raffinierte Steigerung der animalischen Genüsse: möglichst viel Geld bei möglichst wenig Arbeit; Urlaub, Feierabend, Wohnung, Essen, Trinken und, und, und. Man lebt ja schließlich nur einmal. Man will was vom Leben haben. Wenn jetzt ein junges Mädchen so gebildet wird, verbildet wird und sich möglichst forsch, naßforsch, salopp darbietet, berufliche Ambitionen hat, beruflichen Ehrgeiz, darauf Wert legt, sich im Alltag, im beruflichen Leben zu behaupten und zu genießen, wie der Mann eben auch genießt, dann ist es ganz klar, daß das Kind, das plötzlich im Schoße sich anmeldet als ein entsetzlicher Störfaktor erlebt wird. Er paßt nicht in das Lebensbild der Frau, wie es gezeichnet wird. Es ist ein Unglücksfall. "Was soll ich denn damit anfangen. Ich bin doch da, um beruflich was zu leisten, um Geld zu verdienen, um mein eigenes Dasein aufzubauen, in den Griff zu bekommen, meinen 'Mann' zu stehen und zu genießen. Denn man lebt ja nur einmal. Was soll mir dann das Kind?" Da kann zehnmal ein Kardinal oder ein Papst beschwören, daß dies Mord sei. Das interessiert nicht! Die finden schon irgendwelche Ärzte oder Wissenschaftler, die ihnen vorrechnen, daß das kein Mord ist, daß es nur ein Klumpen Fleisch ist, daß der Mensch erst als Person beginnt zu existieren mit der Ei–Nistung und ähnlichen Unsinn. Das alles überwiegt dann, und der Mord geht lustig weiter, weil alles sich ohne das Umfeld eines gesteigerten Bewußtseins darstellt.

Und was ist das Bewußtsein, das gesteigerte Bewußtsein vom Wesen der Frau? Das hat man ja auch jahrhundertelang versäumt klarzumachen; nur hat sich das alles nicht so ausgewirkt, das Weisheitsversäumnis, das Versäumnis der Belehrung, das Versäumnis der Einweihung, das Versäumnis der Vertiefung. Das alles ist ja unterblieben, weil ein gewisser Druck herrschte, weil man in Reih und Glied marschierte, weil die berühmte "Zucht" und die berühmte "Ordnung" waltete. Da hätte sich einer mal wagen sollen aus der Reihe zu tanzen. Das war das Druck- und Zuchtmittel. Nachdem das dann weggefallen ist, weder Zucht und Druck war noch ein gesteigertes Bewußtsein, mußte es ja so kommen, wie es gekommen ist. Daraus folgt doch der Mord. Weil eben die Frau sich nicht als Frau erlebt, weil sie keine Ahnung hat vom Wert der Mutterschaft, also muß dieser Störfall beseitigt werden. Das ist eine klare Konsequenz. Deshalb muß angesetzt werden im Umfeld. Es muß ein Bogen gespannt werden. Es muß drumherum die Erde aufgegraben werden.

Was ist die Frau? – Die Frau ist ihrem ganzen Wesen nach nicht zu trennen von der Mutterschaft. Das muß dem Mädchen suggeriert werden, daß dies der Sinn ihres Daseins ist, seines künftigen, mütterlichen Daseins. Es muß auch der Sinn der Jungfräulichkeit dargestellt werden als eine "geistige Mutterschaft". – Was heißt "Mutter sein"? Die Frau ist darauf angelegt in ihrer ganzen Konstitution – körperlich, seelisch, geistig – Mutter zu sein. Das ist das Zentrum ihres Daseins. – Was bedeutet das? Sie, die bestimmt ist zur Hingabe, zur bräutlichen Empfängnis, ist bestimmt, in sich reifen und wachsen zu lassen. "Maria aber bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen": das ist die "geistige Schwangerschaft". Und dann kommt das "geistige Gebären", das prophetische Ratgeben. So ist die Mutter, die Frau als Mutter, gestellt zwischen Vergangenheit und Zukunft, priesterliches und prophetisches, bergendes Bindeglied; sie ist die Heraufziehende, die Aufziehende, die Walterin großer Aufzucht der Person – nicht im Sinne einer stupiden Kasernenhofzucht, sondern einer geistigen Aufzucht, einer Hinaufpflanzung, einer Werte- und Wegweisung aus den Kräften der Tiefe und der Vergangenheit –, die große Walterin des Vermächtnisses, das sie fordernd weitergibt. Es gibt nichts Größeres als das Dasein der Frau als Mutter im Geiste! Und das muß selbstverständlich von klein auf gelehrt, plausibel gemacht werden, damit sich das Weib als Weib – ich sage jetzt "Weib" im hohen Sinne des Wortes – erfährt und bejaht und will. Und daraus erwächst ihre wahre Ebenbürtigkeit – nur daraus! –, nicht dadurch, daß sie vermännlicht wird, burschikos sich darstellt und dann solche Gestalten abgibt, wie man sie heute zum Entsetzen, zum Müde- und Mürbewerden auf der Straße erleben muß. Das kann einem die Freude am Leben verderben, wenn man diese vermännlichten Exemplare sieht, die das Weibliche verleugnen und totschweigen – totschweigen, weil sie nicht darum wissen. Sie sind stumm, weil sie nicht wissen, was sie verschweigen. Es ist nichts in ihnen.

Sehen Sie, das ist das Umfeld. Solange diese Weisheit nicht waltet, ist alles andere hoffnungslos, führt zu nichts. Wir müssen fordern, daß die Kirche wieder aufsteht als die, die sie ist, aufflammt in ihrem eigenen Wesenslicht, wieder auftritt, und zwar stärker, deutlicher, bewußter, fordernder, weckender, bestätigender als je zuvor. Das ist der Weg! Das ist der Weg unseres Gebetes! Auf politischer Ebene, wie auch die politische Konstellation sein mag – ich wiederhole: wie sie auch sein mag –, ist da nichts zu erreichen, gar nichts, nichts zu ändern, sondern nur auf dem Weg der Bewußtseinsformung und der Bewußtseinsweitung, der Deutung! Denn die Kirche ist da, die Dinge zu deuten, in Zusammenhang zu bringen! —

Und noch etwas, was einige Menschen nicht verstehen wollen. Sehen Sie, es ist heute eine Kommunionschwemme sondergleichen. Das hängt damit zusammen. Denn in den meisten Kirchen des offiziellen Raums der katholischen Kirche wird gültig zelebriert. Das ist ganz sicher. Das ist schlimm, daß es in dieser wesenswidrigen und ganz und gar von Gott nicht gewollten, würdelosen Form geschieht – aber es geschieht gültig! Also ist Christus gegenwärtig. Also, wenn ich dort kommuniziere, kommuniziere ich. Heute wird kommuniziert en masse. Was folgt daraus? Bringt das Frucht? – Überhaupt keine. Denn mit Simsalabim und mit Wunder ist nichts zu erwarten. Die Kommunion birgt nicht aus sich selbst den neuen Menschen, sondern da müssen schon Voraussetzungen gegeben sein, z.B. ganz primär die Anbetung. Die muß vorangehen, wie der Liebesvereinigung die anbetende Liebe vorangehen muß; sonst hat die Liebesvereinigung keine weckende und vertiefende Kraft. So ist es auch hier. Wenn keine Anbetung vorausgeht, hat die Kommunion für sich gesehen wenig Effekt. Aber die Anbetung für sich allein gesehen ist auch nicht das, was sie ist. Alles, was man nur für sich betrachtet, wird verfälscht. Die Anbetung ist nichts ohne die große Weisheit.

Also: Katholisch heißt "allumfassend", auf einer Höhe stehen, von der aus ich alles beurteile, ohne beurteilt werden zu können. Richtig! Wenn ich Katholik bin, bin ich aber noch nicht automatisch in dieser Verfassung, sonst hätten wir ja auf dieser Welt siebenhundert Millionen Weise, die alles beurteilen können und alle Dinge deuten. Das ist nicht der Fall. Das geschieht nicht automatisch. Durch ein Wunder geschieht gar nichts, sondern da muß schon die große Weisheit geweckt werden, die alles deutet und alles umfaßt, alles in Zusammenhang bringt. Da muß schon der Mensch zu dieser erhöhten Position heraufgeführt werden, damit er das, wozu er fähig ist, auch entfalte. Denn das, was eingesenkt ist, muß entfaltet werden; aber es entfaltet sich nicht automatisch. Das ist ganz wichtig zu wissen. Selbstverständlich ein so ganz bewußter, von großer Weisheit getränkter katholischer Mensch könnte von dieser Weisheit her seinen jeweiligen Beruf besser, sinnvoller, wissender ausführen. Ein Arzt könnte seines Berufes sicher besser walten, wenn er von der erhöhten Position katholischer Weisheit sich begreifen würde. Aber das ist ja weithin nicht der Fall, meine lieben Brüder und Schwestern. Dadurch, daß ein Arzt katholisch, dadurch, daß er meinetwegen jeden morgen zur Kommunion geht, ist mit Hinblick auf sein berufliches Können, für sich selbst gesehen, noch gar nichts gesagt. Sein Katholischsein ist eine Chance; aber leider ist bei den allermeisten – unschuldigerweise – diese Chance ganz und gar nicht erfüllt. Es sind keine katholischen Menschen die Katholiken. Wie können sie auch? Sie sind ja nicht eingeweiht worden! Sie haben ja nicht diesen Überbau. Deshalb bedeutet es weithin für das Tun eines Arztes gar nichts, daß er katholisch ist. Wenn ich also zu einem Arzt gehe, frage ich danach, was er kann in seinem Fach. Wenn im Konzil von der "Eigengesetzlichkeit im Weltbereich" die Rede ist, dann ist das nicht ganz falsch, aber doch zum Teil falsch. Es gibt keine absolute Eigengesetzlichkeit, sondern nur eine relative. Aber es gibt eben diese relative Eigengesetzlichkeit. Und wenn ich zum Arzt gehe, frage ich danach, ob er was in seinem Beruf kann. Ob er katholisch ist oder nicht, danach frage ich nicht. Es sei denn, er hat diese große Weisheit, diese Paracelsische Weisheit und Überschau, die allerdings sehr, sehr selten anzutreffen ist. Genau so ist es beim Politiker. Ein Politiker, der katholisch ist, ist deshalb noch lange kein besserer Politiker als ein anderer, der es nicht ist. Ich kann nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge danach nicht fragen. Wenn einmal nach der Wende die Zeit kommt – und sie muß und wird kommen! –, da wirkliche Einweihung vollzogen wird, da wirkliche Weisheit gestiftet wird, dann kann "katholisch" ein solches Prädikat sein, das den jeweiligen, den Politiker oder den Arzt oder den Juristen, befähigt, seines Amtes tiefer und sinnvoller zu walten. Dem Stand der Dinge nach ist das noch gar nicht der Fall, und deshalb können wir nach solchen Kriterien nicht den Wert eines Politikers oder eines Arztes oder eines Juristen oder eines Lehrers messen.

Da müßte noch und muß noch ungeheuer viel nachgeholt und aufgeholt werden von Jahrhunderten her, denn jahrhundertelanges Versäumnis ist zu vermerken. Das wurde alles niedergehalten, dieses Defizit, durch eine äußere, wie ich ja anfangs sagte, autoritäre Unterdrückung. Das ist aber ganz und gar nicht im Sinne des Gottmenschen! Deshalb wird die Zukunft gestaltet werden müssen nach den Gesetzen der Weisheit, so wie es geschah zu Zeiten der Apostel, der Urkirche, der Frühkirche, des Frühen und Hohen Mittelalters. Und schon vom Hohen Mittelalter an kippte es, und seit fünf bis sechs Jahrhunderten liegt die ganze Sphäre der Pastorale im argen! Die Weisheit, die große, wissende Erkenntnis fehlt! Und da muß zur Heilung angesetzt werden. Alle anderen Überlegungen sind untauglich. AMEN.