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actio spes unica Pfarrer Milch St. Athanasius Bildungswerk Aktuell

Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

Weißer Sonntag 1985

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

das Kennzeichen des christlichen Menschen ist das Wissen, daß er immer angewiesen ist auf das unendliche Erbarmen Gottes, da er nie und nimmer aus eigener Kraft vor Gott bestehen kann.

Das Leben! Glaube – Leben. Aus dem Glauben das Leben, aus dem Leben der Glaube. Das Christentum, das christliche Leben muß unter diesem Zeichen verstanden werden – Leben! Leben bedeutet, das, was der Herr ständig wiederholt und meint: Feuer, Sturm, große Gedanken, ein einziges, allbeherrschendes, zwingendes Thema, das alle Bereiche des Lebens bindet und in einen großen starken Zug hinein bringt. Der Christusmensch, der gottmenschliche Mensch, der in Christus getaucht ist, zeichnet sich aus durch ein starkes, tiefes Leben, durch eine mächtige Ausstrahlung. Sein ganzes Gebaren teilt mit, daß er unter dem Gesetz des einen steht, was not tut, dem er sich verschworen hat, total, in frei gewählter Ausweglosigkeit. Hinter sich hat er alle Brücken verbrannt und ist nun sich selbst zum Schicksal geworden, zum unentrinnbaren Schicksal. Das ist das Kennzeichen des christlichen Menschen. Voraussetzung ist, daß Du den Glauben haben willst. Es ist ein großer Irrtum zu meinen, schon zu glauben. Wer meint, er glaube schon, verbaut sich alle Chancen zum Glauben. Dieser trennende, quälende, leidenschaftliche "Noch-nicht-Glaube" des Apostels Thomas war unendlich viel fruchtbarer, trächtiger, verheißungsvoller als die müde, gähnende Selbsttäuschung so vieler, die sich beruhigen, streicheln, ihr "gutes Gewissen" pharisäisch hegen und pflegen und sich im Wahne wiegen – "ich glaube ja". Aus diesem "ich glaube ja" spricht so viel Müdigkeit, soviel Langeweile, soviel Blasiertheit, soviel Gewohnheit, soviel Mauer und Muff, soviel Intransingenz. Da geht nichts mehr durch; da geht nichts mehr hinein – "ich glaube ja". Da sind alle Riegel versperrt und alle Türen zu! Keine verschlossenen Türen nach der Art, durch die der Herr hineingehen kann. Man zerreiße dieses einlullende, mulmige Gespinst der Selbsttäuschung und Selbstberuhigung: "ich glaube ja." –

Du willst glauben. "Herr, ich will glauben, hilf meinem Unglauben!" Ein Zipfelchen, ein Spitzchen meines Daseins ist vom Glauben angefaßt, aber das größte Terrain meines Seelenlebens ist vom Glauben eben noch nicht erobert. Und darum ist in mir so wenig Leben, so wenig Lebendigkeit! Und da gibt es zwei Gesetze, die den Christen zu einem überzeugenden, erlösten Menschen machen. Wir feiern am Weißen Sonntag das Hochfest der "Göttlichen Barmherzigkeit". Sie wissen, daß ich nicht gerade erpicht bin auf alle möglichen Visionen und Außergewöhnlichkeiten. Aber die Erleuchtungen der Schwester Maria Faustine haben schon ein starkes geistliches und geistiges Gewicht. Wenn man ihre Gebete denkt, z.B. an den Satz: "Endlich weiß ich, daß ich nicht zuviel von Dir erhoffen kann und nicht weniger besitzen kann, als ich von Dir erhoffe", und wenn sie den Weißen Sonntag als Hochfest der "Göttlichen Barmherzigkeit" aufgrund ihrer Erleuchtungen erbeten hat, gefordert hat, so können wir es mit gutem Gewissen tun. Das Erbarmen einsaugen, Leibeigener sein des unendlichen Erbarmens. Das schützt vor Selbstverzauberung. "Ströme in mich ein, brause in mich ein, Du grenzenloses Erbarmen! Verwandle mich! Bereinige mein Dasein! Schreibe auf den krummen Linien, die ich zu bieten habe, gerade! Erhebe mein Ich!" Löse mein niederes Ich ab durch Dich, durch Dein höheres, göttliches, gottmenschlich Eigentliches, mein neues, eigentliches Ich. Darüber wäre viel zu sagen. Darüber wäre wochenlang zu reden, wie das zu verstehen ist. Aber gerade im Erbarmen und durch das Erbarmen gewinne ich ein Selbstbewußtsein, eine Lust am neugewonnenen Ich, das ich sonst nicht hätte. Dagegen steht dieses verbreitete Demutsgerede, diese bornierten, blockierenden Demutskomplexe. Dagegen steht die falsche Vorstellung von Demut, die im Grunde Undankbarkeit ist. Daß ich nichts zu bieten habe als meine Scherben, als mein Nichts, das ist selbstverständlich. Daß ich mich selber unverdient empfangen habe und in Christus, in der unabsehbarsten Weise empfangen habe, groß, mächtig, für die Ewigkeit bestimmt, ausgerichtet in die Senkrechte, herausgerufen, herausgeweckt und -gereckt, das ist die vollkommene Freude. Es gibt keine vollkommene Freude ohne Selbstbewußtsein, ohne diesen demütigen Stolz, durch den ich das Haupt hochtrage und demütig und dankbar weiß um meine Fähigkeit, um den Platz, der mir zugewiesen ist und um die Notwendigkeit, da und dort Macht auszuüben und Verantwortung zu tragen, wie der hl. Paulus sagt: "Es ist eine gute Sache, das Bischofsamt anzustreben". Als Beispiel dafür, daß es zur Geradheit des erweckten und unverdient im Erbarmen auflebenden Menschen gehört, zu wissen, was ihm gegeben ist. Alles andere ist Knatschgeist. Es gibt diesen verbreiteten pseudochristlichen, pseudodemütigen Knatschgeist. "Ich will ja gar nichts Besonderes sein. Ich bin nichts, ich kann nichts, steck mich ins sechste Glied." Ganz unscheinbar, aber dann vom sechsten Glied aus so bequem und gemütlich hecheln und schießen von schräg nach links. Das haben wir gerne.

Der gerade offene Geist sagt: "Das ist der Platz. Den will ich. Da gehöre ich hin."

Ich erinnere mich an den Würzburger Bischof – ich kenne den Namen nicht; Tilman Riemenschneider hat ihn im Relief dargestellt. Es war in seiner Zeit Sitte, daß der Bischof, der seine Kräfte schwinden fühlte, sich aus dem Domkapitel seinen Nachfolger kürte. Er versammelte nun die Domkapitulare um sich, um den üblichen Ritus des Vermächtnisses und der Übergabe seines Amtes zu vollziehen. Er zog seine Mitra ab, um sie dem von ihm Erwählten und Vorgesehenen aufzusetzen. Er schaute sich um, sah sich die Gestalten an, nahm die Mitra und setzte sie sich wieder selber auf, im Wissen, daß er es ist, unersetzbar. Er sah ringsum nichts. Er sah keinen würdigen, fähigen Nachfolger. Das ist ein klarer, aufrechter, selbstbewußter Sinn, wahre, offene, kristallklare Demut und nicht diese vermuckte, verduckte, versteckte, heimliche, verknatschte, kriechende, unklare Demut, dieses Tun, hinter dem sich so viel Rachsucht versteckt, das so viel geheime Bösartigkeit ausbrütet. Wir kennen es zur Genüge. Seien Sie vorsichtig vor den Leuten, die es immer mit der Demut haben. Ihre "Demut" besteht meistens darin, daß sie mit Argusaugen die anderen beobachten, ob die auch demütig genug sind, aber beim geringsten Windhauch einer Nuance möglicher Beleidigung sind sie nachtragend bis ins letzte. Die kennen wir alle. –

Ich weiß, ich habe aus mir nichts zu bieten, aber in Ihm und durch Ihn alles, als Leibeigener des unendlichen Erbarmens. Und aus diesem starken, großen Gebet heraus, kommt dann die Fähigkeit zur Arbeit. Es gibt keinen wahrhaft christlichen Menschen ohne das Beispiel einer starken, intensiven Arbeit und Arbeitsfreude, einer zupackenden, raschen Energie. Eigene Schwächen überwindend, angreifend, zugreifend, das Aufgegebene bewältigend, sich selbst nicht schonend im Einsatz: das kennzeichnet den Christen. Das ist mit "gutem Werk" gemeint – Arbeit. Aber dazu gehört eben dieses grenzenlose Vertrauen in das unendliche Erbarmen, das einen aussendet – "Ite missa est". Und nun gehe ich dahin und arbeite. Und wo gehobelt wird, fallen Späne. In der Arbeit bin ich nicht immer der Vollkommenste in meinen Gedanken und Gefühlen. Da kommt Ärger, Wut, Ungeduld und alles, was so in der Tiefe meiner chaotischen Möglichkeiten brütet und schwelt. Das kommt immer wieder durch. Wenn ich nun jedesmal, bei jedem Anflug eines negativen Gedankens oder Gefühls innehalte, reflektiere, traurig werde, mich selbst quäle, dann komme ich zu nichts, dann gehöre ich zu diesen lahmen Enten, die einfach nicht weiterkommen, weil sie ständig um sich herum kreisen, sich ständig prüfen und ununterbrochen testen, ob auch ihre Gedanken usw. vollkommen sind. Das sind diejenigen, die meinen, sie müßten ununterbrochen ihre eigene Vollkommenheit stilisieren und kurieren, um vor Gott bestehen zu können. Wenn ich das schon meine, dann ist das eine höllenträchtige Illusion. Das ist Wahn! Wir können nicht, und Du kannst und ich kann nicht vor Gott bestehen. Ich kann vor Ihm nicht bestehen. Da bin ich ja außerhalb Seiner. Da müßte ich etwas aus mir bieten, mit dem Er zufrieden wäre. Welch ein grausiger Gedanke! Wer das meint, ist im Grunde schon gerichtet, wenn er es im Ernst, im tiefsten Ernst will und darauf besteht, rebellisch: "Ich will vor Ihm bestehen". Daraus wird eine Groteske, eine lächerliche Tragikomödie, die man bei so vielen sogenannten "Frommen" beobachtet. Sie wollen unbedingt und ununterbrochen vor Gott die Komödie eines vollkommenen Lebens spielen. Daraus wird nichts! Daraus wird das Gegenteil! "Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, der taugt nicht für Gottes Reich." Weitermachen, weiter das Fällige tun, angreifen! Daß ich unvollkommen bin und daß die chaotischen Abgründe meines Daseins immer wieder reinfummeln und schwirren und klirren, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Ich gehöre ja dem Erbarmen. Und auf dies Wort hin, Seines Erbarmens, gehe ich nun daran und schaffe und werde ein Schaffender. Selbstverständlich gibt es die Gefahr, daß man in die Arbeit flieht, um die Tiefe zu meiden und den wahren Sinn seines Lebens zu vergessen, daß man zum G’schaftlhuber wird, daß man ständig über Streß klagt, aber im tiefsten froh ist, den Streß zu haben, weil man damit ununterbrochen eine Entschuldigung hat. Die Gefahr besteht selbstverständlich auch. Aber wer es begriffen hat, der wird dieser Gefahr nicht erliegen. Er wird beten im Bewußtsein, daß alles vom Erbarmen abhängt. Und gestärkt geht er daran, das seine zu tun, ein Arbeiter zu sein. Alle großen Heiligen gaben das Beispiel einer übermenschlichen Arbeitsleistung, Arbeitskraft. Das ist ein Wesenselement des christlichen Lebens. Manche meinen, das sei so gespalten, die Religion sei eine Sparte. Viele klagen: "Ich komme gar nicht zum Beten. Ich bin allzu sehr dem Weltlichen verfallen, weil ich soviel arbeiten muß." Als wäre die Arbeit die weltliche Sparte des Daseins und das Gebet die religiöse Sparte des Daseins. Ein großer Irrtum! Christus ist alles oder nichts! Die Arbeit gehört dazu. In allen Dingen dem Vater verherrlichend dienen in Christus, in allem: im Leiden, im Ärger, in der Sorge, auch in jeder Not und in jedem Kreuz, das einen zum eigenen Leiden vom Gebet abhält. Dann ist eben dieses Kreuz der Arbeit Christus-Tun. Er wirkt alles in mir, denn Er ist mein Leben, mein ein und alles. Und dieses unendliche Erbarmen schafft jene feurige Lebendigkeit, diese Ausstrahlung, die den Christen kennzeichnet. Um den Christen herum ist es höchst interessant, begeisternd. Da sprüht es und glüht es. Da ist gut sein. Da will man Hütten bauen, um den, der in Christus lebt. Da wird es im Grunde nie langweilig. Denn das neue, höhere Leben haben wir, damit alle Lebendigkeit, die uns zum Teil heimsucht und durchdringt, hinaufgesogen und hinaufgehoben wird zu einer noch viel stärkeren Leidenschaft, zu einem noch stärkeren, gültigen, ewigen Eros und zu der Fähigkeit der Agape. Beides ist aufeinander hingeordnet. Eros heißt Hindrang zum Unendlichen, zum Geliebten. Agape ist bergende, nährende, sorgende Einbettung in den liebenden Schoß. Zum Schoß drängen, das ist Eros. Bergend im Schoße halten und nähren ist Agape. Das eine Wort ist nicht durch das andere zu ersetzen. Das sind die Pole, in denen das christliche Leben sich entfaltet, das starke, höhere Leben. 

Wie gewinne ich es denn? Wie werde ich denn aus einem langweiligen, gähnenden, sogenannten "gläubigen Pflichterfüller" zu einem lebendigen, geistdurchfeuerten Menschen? – Ich kann es aus mir nicht herausstampfen. Ich muß es ersehnen und erflehen, ununterbrochen. Das ist Gebet. "Nun komm, göttlicher Brandstifter! Entzünde in mir das Feuer. Mache glühend heiß meinen Geist voll Leidenschaft und Hingabe. Laß starke Gedanken und starke Entscheidungen mein Dasein prägen, so daß diejenigen, die mir begegnen, aufgerichtet werden und ihnen der Rücken wieder straff wird." Das heißt "Hochfest des göttlichen Erbarmens". Leibeigener des Erbarmens sein schützt vor Selbstverzauberung, daß ich mich selber einlulle und schlafe. Das sogenannte beständige "gute Gewissen" ist ein Ruhekissen, das in die Moschee der Mohammedaner gehört. Unser Ruhekissen ist das unendliche Erbarmen. Wir können etwas mit gutem Gewissen tun, – aber wir haben kein "gutes Gewissen", wenn anders wir keine Pharisäer sein wollen. – Und dann Leibeigener des einen zwingenden Gedankens, des einen, was not tut, und das Ergriffensein vom großen, erlösenden Gottmenschentum, daß Gott eingebrochen ist in diese Erde, im Fleische, im Wort sichtbar, greifbar, hörbar, das Unwandelbare, das über Raum und Zeit Stehende sich verkündet, die ewige, himmlisch zuständige Souveränität erscheint, daß die Epiphanie mich gewonnen und heimgeholt hat. Dieser eine zwingende Gedanke schützt, wenn ich sein Leibeigener bin, vor Fremdverzauberung, davor, daß ich mich mit kleinen Münzen zufrieden gebe, mit Kompromissen, mit billigem Optimismus, mit "Auchs" und "Außerdems" und "Immerhins" und "Wenigstens". Wer Leibeigener des zwingenden Gedankens ist, hat einen einzigen, unteilbaren, grenzenlosen Anspruch. Und der grenzenlose Anspruch ist das Siegel der Menschenwürde. Mit kleinen Ansprüchen, mit dem Kribbelkram kleiner Möglichkeiten, mit Salamischeibchen sich zufrieden geben, entehrt den Menschen. Der Mensch, wenn er sein Menschsein lebt, will alles, ungeteilt alles. Und er weiß, wenn er nicht alles hat, hat er automatisch nichts. Im Grund ist das eins mit dem Erbarmen, nur eine andere Facette dieses einen und einzigen. Dem sich verschwören. Und wer Leibeigener dieser Souveränität ist, der ist selber König und ist selber Majestät. Wer heimgeholt ist vom Erbarmen, ist gerade im Bewußtsein, unverdient beschenkt zu sein, geheimer Herrscher, König und Königin. Wer Leibeigener dessen wird, was ihn überfallen hat, wird aus dem Sklavenstande erhoben und aus dem letzten Platz heraufgerufen zum ersten Platz. Und zwischen dem letzten und ersten Platz gibt es keine anderen Plätze. AMEN.

Schlüsselbegriffe ?
 
Glaube
   
Erbarmen
   
Bestehenkönnen
   
Gewöhnung
   
Demut
   
Sehnsucht
   
Eros
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