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Geistliches Wort im März 2011
Schild der actio spes unica
 

Zum Sonntag Quinquagesima

 

"Ich will hinantreten zum Altare Gottes, zu Gott, der Freude meiner Jugend." Mit diesen Worten wies uns die heilige Kirche in der Communio der Messe vom Sonntag Sexagesima auf die Quellen echter, katholischer Freude hin. Sollte man da nicht eigentlich erwarten, daß sie am Sonntag Quinquagesima dieses Thema von der Freude wieder aufgreift? An diesem Sonntag, wo die Welt ihren großen Freudentag feiert? Wäre das nicht eine schöne Gelegenheit, um zu zeigen, wie auch die katholische Kirche ein großes Verständnis hat für das Freudebedürfnis des Menschenherzens, ja, wie nur der katholische Mensch eigentlich ganz froh sein kann? – Aber da sehen wir etwas Überraschendes: Gerade an diesem Tag finden wir die Kirche sehr ernst. Ihre violette Gewandung, ihre ernsten Weisen, mit denen sie gleich die Meßliturgie eröffnet, deuten uns darauf hin, daß sie uns etwas ganz Ernstes, Feierliches sagen möchte. Und so ist es. Sie steht gleichsam auf der Schwelle zur heiligen Fastenzeit; und darum möchte sie, ehe sie uns die heiligen Tore dieser Zeit öffnet, uns einführen in ihr größtes Geheimnis. Sie möchte zu uns sprechen von jener Urquelle, aus der das Leiden unseres Erlösers, das im Mittelpunkt der heiligen Fastenzeit steht, geflossen ist; von jener Urkraft, der auch wir uns nicht entziehen können, in der auch wir angeregt werden, dieses Leiden zu betrachten und daran nach dem Maßstabe unserer Kraft teilzunehmen: von der heiligen Liebe. Und deshalb läßt sie uns in der Epistel vom heiligen Paulus, diesem gewaltigen Apostel der Liebe, diese Tugend preisen: "Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nur wie ein tönendes Erz oder wie eine klingende Schelle." Und dann steigert der Apostel noch: "Wenn ich weissagen könnte, und wenn ich alle Geheimnisse kennte, und wenn ich einen Glauben hätte und darin Berge versetzen könnte, – ja, selbst wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und meinen Leib hingäbe zum Verbrennen, hätte aber die Liebe nicht: ich wäre ein Nichts." Und dann zeichnet Paulus in wunderbaren Farben sein Bild von der wahren Liebe: "Sie kann warten, sie ist gütig, sie ist nicht neidisch; sie prahlt nicht aufgeblasen, handelt nicht unbescheiden, sucht vor allem nicht sich selbst. Sie läßt sich vielmehr nie aus der Fassung bringen, nicht erbittern, sie trägt nicht etwas Böses nach. Unrecht tut ihr weh, und sie freut sich der Wahrheit. Alles erträgt sie, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles duldet sie. Sie hört niemals auf. Jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe: das Größte aber unter ihnen ist die Liebe."

Das Größte, Höchste ist die Liebe. Die Liebe, der das Christentum entsproßt, die Liebe, in der es weiterlebt. – Denn was anderes war es als Liebe, die den Sohn Gottes bewog, die ewige Schönheit und Ruhe und Seligkeit des Himmels zu vertauschen mit dem lärmenden Karneval des Erdenlebens – mit diesem Hasten und Schreien, dieser Sinnlichkeit und diesen Unsinnigkeiten? Liebe war es, die ihn losriß vom Vaterherzen hinunter zu den Brüdern, die auf der Erde nach Glück, nach Freude, nach einem Himmel weinten – und nichts finden konnten, was ihren Durst gestillt hätte. Liebe des guten Hirten war es, die ihn all diesen irrenden, kranken, müden Schäflein nacheilen ließ; die noch heute in der Liebestätigkeit der Kirche allen nacheilt, die sich verteilen in die Stätten und Säle einer falschen Lust, an die heimlichen Stellen der Sünde, in die einsamen Viertel der Not. Die Liebe – die echte Liebe – ist auch heute noch das Kennzeichen der wahren Jünger Christi. Woran erkennen wir aber diese Echtheit? Wird nicht gerade die heutige Zeit betrogen mit falscher, geheuchelter, selbstsüchtiger Liebe? – Paulus gibt daher die Kennzeichen der echten Liebe an: Jene Liebe ist echt, die alles erträgt. So ist die Liebe der Kirche. Wie oft hat man ihre Liebestätigkeit bestritten, angefeindet, die Kirche eine Freundin der Reichen und Verächterin der Armen, eine Feindin des Friedens, der echten Völkerwohlfahrt genannt! Wie oft hat man nicht – auch unter Ausnutzung tatsächlicher Vergehen einzelner unwürdiger Geistlicher – die Priester angeklagt? Alles hat die Kirche getragen und wird sie tragen, auch den Haß. – Jene Liebe ist echt, die alles glaubt. Nicht in jener Leichtgläubigkeit, die oft gewissenlos ausgebeutet wird, sondern in jenem tiefen Glauben an den Gott der Liebe, an den Gekreuzigten der Liebe, an die Sendung der Liebe in der Kirche; die glaubt an das Geheimnis der Liebe in den Sakramenten, besonders im Altarssakrament – die, wie Papst Leo XIII. es so schön sagt, herausströmt aus dem göttlichen Herzen Jesu. – Jene Liebe ist echt, die alles hofft; die hofft auf ein seliges Jenseits, und deshalb nicht bloß den Leib, sondern auch die Seele liebt, und zuerst die Seele, dann den Leib. Die hofft auf Gotteslohn, und nicht selbstsüchtig auf Dankbarkeit, Ehre, Nutzen rechnet. – Echt ist jene Liebe, die alles duldet. Die Bewährung der Liebe gibt erst das Leiden aus der Liebe. Und hier liegt die tiefste Schönheit der christlichen Liebe; denn hier kann sie uns ein Bild der Liebe zeichnen, das sich himmelweit abhebt von aller kleinen, irdischen Liebe, hier kann sie uns einführen in das Herz der heiligen Fastenzeit.

Das tut sie im Evangelium der Messe dieses Sonntags Quinquagesima: Es war in der Nähe von Jericho. Jesus befand sich mit seinen Jüngern auf dem Weg nach Jerusalem. Da blieb er auf einmal auf dem Wege stehen: "Wißt ihr", so sprach er zu den Seinen, "wozu wir hinaufgehen nach Jerusalem? Seht, wir gehen hinauf; da soll alles sich erfüllen, was die Propheten über mich geschrieben. Der Menschensohn wird dort an die Heiden ausgeliefert, verspottet, mißhandelt, angespieen werden. Man wird ihn geißeln, wird ihn töten. Am dritten Tage aber wird er auferstehen." Die Jünger staunten den Meister fassungslos an – das begriffen sie nicht. In diesem Evangelium öffnet die Kirche schon etwas die Pforten der heiligen Zeit und läßt uns den Weg Christi schauen bis zum Hochaltar auf Golgotha. Welch ein ergreifender Gegensatz zwischen den weltlichen Bildern des heutigen Tages und den Stationen dieses von Christus vorausgeschauten Kreuzweges! Hier entstellte Fastnachtsgesichter – dort das angespieene, blutüberströmte Antlitz unseres Erlösers! Hier vermummte Gestalten, die von Lokal zu Lokal ziehen – dort unser Heiland im Narrenkleid des Herodes von Gericht zu Gericht geschleppt! Hier ausgelassenste Gesellschaft – dort drei todesbereite Gekreuzigte und einer davon: Jesus Christus! Hier die Torheit der Welt – dort die Torheit des Kreuzes! – Wie müssen wir doch staunen über diese duldende Liebe. Sie duldet für uns. – Und doch ist Christus mit dem Staunen nicht zufrieden: Ecce ascendimus! Wir wollen hinaufgehen, wir! Mitgehen, Mitleiden, Mitsterben verlangt er. Das ist viel. Muß er da nicht erwarten, daß wir wie seine Jünger verständnislos dastehen? Muß er nicht auch in unserer Seele mit dem Dunkel rechnen, auf das seine Forderung stößt? Wie Blinde sind wir. Aber Christus weist uns den Weg. Er ist bereit, unser Licht zu werden.

Das zeigt uns der zweite Teil des Evangeliums von Quinquagesima: Als Jesus sich Jericho näherte, saß am Weg ein Blinder und bettelte. Dieser merkte an dem vielen Volk, das an ihm vorbeizog, daß da etwas besonderes geschehen müsse, und fragte die Vorübergehenden. Die sagten ihm: Jesus von Nazareth kommt vorbei. Da begann dieser arme Blinde mit lauter Stimme zu rufen: "Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner." Man suchte ihn zum Schweigen zu bringen. Immer lauter aber scholl sein Ruf: "Sohn Davids, erbarme dich meiner!" Da bleibt Jesus stehen, nähert sich, läßt den Blinden zu sich führen und fragt ihn: "Was soll ich dir tun?" – Und dann diese flehende Bitte des Blinden: "Herr, laß mich sehen!" Und dann das wunderbare Machtwort: "Sei sehend, dein Glaube hat dir geholfen." Und auf der Stelle konnte er sehen, pries Gott und fogte Jesus nach. – Sei sehend! Mit diesen Worten will Christus auch unsere oft so irdisch eingestellten Augen weiten für seine großen Gedanken. Er ist der Herr des Lichtes. Und das ist ja auch die große Lösung, die hinter dem Dunkel am Karfreitag steht: der Sieg des Lichtes am Osterfeste. Nur wer Christus in seiner ganzen Sieghaftigkeit sieht, in seiner göttlichen Erhabenheit über Leiden und Tod, nur der versteht auch die Fastenzeit ganz. Und so ist die Liebe Christi, die uns zum Leiden ruft, nicht ein Ruf zum Leiden schlechthin, sondern zum Licht, zur Auferstehung durch das Leiden. Das sind Wahrheiten, die wir mit unserer schwachen Vernunft nicht ganz erfassen, die uns aber Christus erschließen wird, wenn wir nur demütig bitten wie jener Blinde: "Jesus, erbarme dich meiner, Herr, mach mich sehend!" Im Lichte Christi werden wir, wie der Blinde vor Jericho, geheilt. Und dann werden wir auch handeln wie der geheilte Blinde: Jesus folgen in der Liebe, die niemals aufhört!

 

Abbé Busse