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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
3. Advent 1982
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

unter den Propheten ist Johannes der größte, der Prophet der Propheten, der dahergeht im Geiste und in der Kraft des Elias. Und das Größte, was man vom Propheten sagen muß und sagen kann, ist, daß er nichts anderes ist als Stimme, "Stimme eines Rufenden in der Wüste". Das ist eine klassische Kennzeichnung jeglichen Prophetenauftrags und Prophetenschicksals: "Stimme bin ich." Ein prophetischer Geist, der meinte sich als Gottlosen bezeichnen zu sollen, nannte sich "Mundstück jenseitiger Imperative". Ein gutes Wort. Das ist in etwa dasselbe. "Ich rede nicht aus mir, ich rede aus Ihm, aus dem anderen. Ich bin Sein Medium. Ich spreche in Seinem Auftrag. Ich weise hin auf den, der schon da ist, der nach mir kommt und doch vor mir war."

Elisabeth trägt ihn im Schoße. Sie ist die Synagoge. Sie ist das Israel. Sie ist der Alte Bund und trägt in sich den Propheten. Und ihr begegnet die Kirche, die erlöste Menschheit in Maria. Sie trägt in sich die Erfüllung. Johannes weist hin auf die Erfüllung. "Er muß wachsen, ich muß abnehmen." Und an anderer Stelle sagt er: "Der Freund des Bräutigams freut sich, wenn er den Freudenruf des Bräutigams vernimmt."

Und wir haben heute den Adventssonntag "Gaudete – Freuet euch!", wie er auch in der Fastenzeit ein Freudentag ist: "Laetare", der vierte Fastensonntag. Und ich habe von der Freude und der Begeisterung gesprochen vor einer Woche, daß wir uns darauf prüfen sollen, wie es mit der Freude unseres Geistes steht, die nicht zu verwechseln ist mit einem akuten Aufgeregtsein des Gefühls. Prof. Dr. Hoeres hat kürzlich mit Recht darauf hingewiesen, daß es eine eigentlich recht neuzeitliche Verirrung ist, das Gefühl vom Geiste gelöst zu betrachten und vom Geiste gelöst das Gefühl zu pflegen. Das ist etwas Unzulässiges, Unechtes, eben Sentimentales. Alles Sentimentale ist im Grunde unwahr wie alles rein Gefühlsmäßige. Die wahre Daseinsfreude ist geistige Freude, eine Freude des Wissens, eine Freude, die mich selber konstituiert als Person, mein Dasein bezeichnet und begründet, durchformt und erfüllt! Beständig ist in dem, der Christus begriffen hat, die Freude: die Freude, die Johannes als erster erfuhr schon im Schoße der Elisabeth, als er aufhüpfte vor Freude. Im Mutterschoße, in der Tat, erlebt man sein künftiges Leben und ist eingeweiht in große Geheimnisse. Das Dasein des Menschen im Mutterschoße, wo der Mensch noch nicht ganz mit dem noch nicht ganz brauchbaren Leib vereint ist, sondern den Leib nur tangiert und zu durchformen beginnt: dennoch besteht eine untrennbare Einheit zwischen dem Leib und dem Geist im Schoße der Mutter, aber diese Einheit ist eine werdende. Und der Geist, der im Schoße der Mutter ist, weiß schon vieles. Und wir erinnern uns so oft bei manchem, was wir sehen, erstmalig hören und erfahren: "Das hast Du doch schon einmal gesehen und erlebt." – Antwort: Es war im Mutterschoße, da Du dies gesehen und erlebt hast. Von daher ist dies mit dem Hüpfen des Kindes im Schoße der Elisabeth keine hergeholte und verkrampfte Legende, sondern etwas sehr Tiefes, Realistisches, ein Zeichen dafür, wie der Geist im Mutterschoße besonders befähigt ist, den noch unentwickelten Leib zu bewegen. Das ist eine Sache für sich.

Freude: Jeder, so sagte ich, prüfe sich auf seine Begeisterung und auf seine Leidenschaft, die weit hinausgehen muß über die Vorstellung bloßer Pflicht. Pflicht ruft nach Ende, Pflicht hat Grenze – Leidenschaft ist grenzenlos! Und es paßt sehr gut, daß wir heute das Sakrament der Buße ins Auge fassen, ein Sakrament unermeßlicher Freude, was auch der nicht begriffen hat, der immer sagt "Ich muß beichten" oder "Es ist jetzt die Zeit, da ich wieder beichten muß" oder, im Zeichen allzu großer Gewohnheit, "Ach, ich könnte ja gerade mal schnell beichten gehen, ich habe ja noch Zeit, ich könnte das ja gerade mal ausnutzen", daß man so ebenhin beichtet. Und es ist dann im Unterbewußtsein die leise Koketterie: "Na ja, was ich so durchs Gitter zu schieben habe, das sind ja ohnehin nur kleine Fische. Im großen und ganzen kann ich mich ja sehen lassen. Zu achtzig, zu neunzig Prozent bin ich ja in Ordnung. Es schwimmen auf der Oberfläche nur bloß so ein paar Fettaugen kleiner Fehler, wie jeder sie mehr oder weniger hat. Aber im Sockel, in der Substanz bin ich doch in Ordnung." – Ein ganz gefährlicher Irrtum, ein pharisäischer Irrtum, ein Irrtum, von dem viele befallen sind! Und ich habe es schon oft genug gesagt und wiederhole es, daß wir uns beständig auf das große Ereignis des Bußsakramentes vorbereiten: denn es wirkt im voraus und im nachhinein zugleich! Das Erbarmen des Herrn ist in uns beständig wirksam, wenn wir es einlassen. Wenn wir es aber nur einlassen in die Oberfläche dessen, was wir feststellen können an sündhaften Taten, dann kann es in der Tat auch nicht viel ausrichten. Das Erbarmen wirkt nur dort, wo wir es hineinlassen! Wenn wir aber meinen, im Sockel, in der Substanz seien wir in Ordnung, es würden nur so ein paar kleine, unwesentliche Fehler oben am Rand sich tummeln wie Stäubchen sich wirbeln, aber unser Innerstes nicht berühren, dann wird natürlich das Erbarmen auch in dieses vermeintlich so "reine" Innere nicht eindringen!

Nein: Du wirst Dich schon mit Deiner ganzen Fülle dem Erbarmen aussetzen müssen! In Dir ist nämlich die Fülle des Nichts, die Fülle des Chaotischen, des Fragwürdigen, des Bösen, das in Deiner Tiefe waltet und wuchert! Jener Sumpf, aus dem alle Blüten böser Taten entstehen können: der ist in Dir und der ist in mir! Denn jeder von uns ist "zum Bösen geneigt von Jugend auf", wie es in der Hl. Schrift heißt und wie es der Herr nicht müßig dahersagt. "Zum Bösen geneigt von Jugend auf", d.h. von der Tiefe, vom Anfang her. Von unserem Dasein, von der Wurzel unseres Bewußtseins her sind wir böse, voller geheimer Rachsüchte, Selbstbeschwichtigungen, Selbstgerechtigkeiten, voll von geheimer Schadenfreude, voll von Gleichgültigkeit gegenüber Gott und gegenüber den Menschen! Wir strotzen nur so von Bösem und Bedenklichem – ein jeder von uns!

Und ich habe vor einigen Wochen erst Seminaristen davor gewarnt, wenn sie sich dem sogenannten "Tugendstreben" widmen, eine Sache, die man nur empfehlen kann, wenn man sie richtig begründet und erklärt, und zugleich außerordentlich gefährlich ist: Wer sich nämlich bemüht in der Tugend voranzuschreiten, kommt leicht in den Wahn, er sei im Grunde in einem gewissen Stadium, wo eine Kategorie von Sünden nicht mehr in Frage kommt, wo er sagen könnte "Das habe ich hinter mir; das habe ich überwunden; ich bin bereits auf einer höheren Sprosse der Leiter im Vollkommenheitsstreben angelangt". Und ich warnte vor einem solchen Wahn. Er ist außerordentlich gefährlich! Und wenn Du in diesem Wahn lebst, kann Dir Gott nur dadurch einen großen Gefallen erweisen, daß Du ganz tief in die Sünde hineinplumpst, auf daß Du wach werdest und klar über Dich selbst!

Und das meinen wir übrigens mit der Vaterunser-Bitte "Und führe uns nicht in Versuchung". Das heißt nicht "Versuche uns nicht", sondern "Laß nicht geschehen, daß wir versucht werden", wie der Geist Jesus ja auf einen hohen Berg geführt hat, um dort vom Satan versucht zu werden. Der Geist hat Jesus nicht versucht, sondern in Versuchung geführt. Wir können das nicht vertragen. Keiner von uns kann gegen irgendeine Versuchung eine Garantie aussprechen – keiner von uns! Aus eigener Kraft sind wir, Du und ich, jeglicher Versuchung erlegen und machtlos. Das muß gewußt werden. Wehe, wenn wir es nicht wissen! Und "Führe uns nicht in Versuchung" heißt: "Laß uns nicht hochmütig sein. Laß uns nicht in die Einbildung fallen, als seien wir Gefeite und Abgesicherte gegenüber der Sünde. Laß uns wissen, was der hl. Paulus sagt: 'Wer steht, der sehe zu, daß er nicht falle', und er sei immer vorsichtig."

Wie denn vorsichtig? – Dadurch, daß er das Erbarmen anruft. Im anderen Falle, wenn wir dem Hochmut verfallen sind, könnte es notwendig sein, daß uns der Herr in Versuchung führt, auf daß wir wieder wach und klar, realistisch und demütig werden. Und selig der, dem eine solche Niederlage zuteil wird! Er könnte wach werden und zur eigentlichen Bekehrung gelangen. Das ist die Bekehrung dessen, der sich "auf den letzten Platz setzt", weil er nur dann von der Realität seines Nullpunktes aus zum Höheren berufen werden kann. Wenn er sich aber auf irgendeine Höhe zwischen Null und ganz oben dünkt, wird er zurückgeworfen. Wenn er aber oben ist, dann weiß er, daß er es allein nur dem Erbarmen, nur dem Erbarmen verdankt.

Ich weiß, daß in vielen ganz tief drinnen, im Unbewußten, das Gebet schwelt: "Ach Herr, laß mir doch wenigstens ein Pünktchen Pharisäismus. Es läßt sich so schwer leben, wenn man nur auf das Erbarmen vertraut." – Nein: Dir wird dieses Pünktchen Pharisäismus nicht gewährt! Dein einziges Selbstbewußtsein, das soll ganz groß sein – ich rede oft genug von "demütigem Stolz": der ruht aber nur im Erbarmen! Und das ist unserer Freude. Und im Bußsakrament gipfelt die Freude des Erbarmens auf. Etwas höchst Feierliches, Himmlisches ereignet sich. Ich begebe mich zu dem, der als Christus wirkt – als Christus! –, und der deshalb Geheimnisse in sich aufnimmt, die nicht seine Geheimnisse sind, die er deshalb auch nicht preisgeben kann! Es ist innerlich unlogisch anzunehmen, es gäbe irgendwann eine Dispens vom Beichtsiegel. Ich kann dispensiert werden von einem Geheimnis, das mein Geheimnis ist – als Rechtsanwalt, als Arzt oder als Seelsorger –, aber was der Beichtvater vernimmt, ist das Geheimnis des Christus und nicht sein Geheimnis! Deshalb kann er auch niemals von der Geheimhaltungspflicht entbunden werden. Das könnte er nur, wenn es sich um sein Geheimnis handelt.

Er hört als Christus und hat es vor sich selbst zu vergessen. Und er übertritt das Gebot der Geheimhaltung und das Beichtsiegel ganz gewaltig, wenn er irgendeinen auf das hin anschaut, was er von ihm aus der Beichte gehört hat. Wenn ein Priester zum Beispiel sagt unter Anspielung auf den Beichtstuhl: "Ich kenne meine Pappenheimer", dann übertritt er eben dadurch ganz gewaltig das Beichtsiegel! Er hat aus der Beichte nichts zu wissen, gar nichts, von keinem etwas!

Als Christus hört er. Und was er hört, ist ein Zeichen – das, was dem Betreffenden eingefallen ist. Und das ist ein Symbol für die eigentliche Sündhaftigkeit, die unaussprechlich ist. Auch das habe ich schon des öfteren gesagt. Viele sagen mit Recht und fühlen mit Recht: "Ja wissen sie, das ist es zwar, was ich bemerkt habe und aussprechen kann. Aber irgendwie weiß ich, daß damit das Eigentliche noch nicht ausgedrückt ist." – Du hast vollkommen recht! Das Eigentliche ist auch nicht auszudrücken, Du kannst es auch gar nicht ausdrücken. Du mußt aber wissen, daß dies, was Du sagst, ein Signum ist, die Spitzen des Eisberges, die das Vorhandensein eines riesigen Eisberges signalisieren, der in die Tiefe hin sich mächtig ausbreitet, mächtig und gefährlich. Über das, was Du beichtest, sage nie "das sind alle meine Sünden.", sondern "das sind die Sünden, die mir eingefallen sind oder die ich beichten wollte". Aber sage ja nie "Das sind alle meine Sünden"! Das ist schon ein gefährlicher Irrtum. Es sind natürlich lange nicht alle Deine Sünden, denn der Priester betet "für meine unzähligen Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten". Und in der alten, wahren Liturgie, in der göttlichen Liturgie wird nichts Müßiges dahergesagt oder übertrieben. Es sind in der Tat unzählige Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten im Geiste und vor allem in der Tiefe des Bewußtseins!

Und dann geschieht es durch die Lossprechung, daß in diesem Augenblick nicht nur die Sünde gelöscht wird, sondern alle Sünden. Und alle Sünde wird nur gelöscht, wenn ich mich ganz hineingebe. "Wir schließen alles ein": das denkt der Beichtvater – und hoffentlich denkt es auch das Beichtkind. Alles einschließen, aber auch alles! Meine ganze unaussprechliche Sündentiefe und den breiten Sündenabgrund in mir: da strahle das Licht hinein und lösche die Sünde! Es löscht die Sünde, wie das beständig wirkende Erbarmen in Dir die Sünde löscht. Und es knüpft wieder an an alles, was bisher in Deinem Leben gut war und in Gott getan und erfahren.

Aber nun kommt im Augenblick der Lossprechung etwas Einmaliges hinzu: Sämtliche je empfangenen Sakramente ereignen sich in diesem Augenblick neu. Der Getaufte wird erneut getauft, der Gefirmte erneut gefirmt. Der Priester erhält in diesem Augenblick erneut seine Priesterweihe. Alles, was er je an Gnaden empfangen hat, wird aktuell, wirksam! Was er je Gutes getan hat, wird Gegenwart. Die ganze Vergangenheit wird in die Gegenwart hineingeholt. Und erneut blüht und leuchtet alles je in Gott Empfangene und in Gott Geopferte und Getane. Eine Hoffeier, eine Hochzeit der Seele ist der Empfang des Bußsakramentes, ein Gnadentag sondergleichen! Und man sollte spätestens am Vortage wissen: "Morgen ist ein ganz großer Tag für mich. Ich empfange das heilige Sakrament der Buße. Ich empfange die Lossprechung. Ich werde neu. Alles wird wieder hergebracht. Alles scheinbar Gewesene und Verlorene wird erneut hergestellt. Als ein ganz neuer Mensch, neu auferstanden, verwandelt und verklärt, verlasse ich das Sakrament."

Das geschieht in Dir. Du wirst ganz neu – "Siehe, Ich mache alles neu". Und was ist herrlicher zu wissen als: Nichts war je vergebens! Nichts ist verloren! Nichts ist unwiederbringlich der Vergangenheit anheim gefallen! Allein die Sünde ist gelöscht – aber ich selbst, mit allen göttlichen Ingredienzen und Präsenten, bin wieder ganz da! Und von meiner Kindheit an, vom Mutterschoße an bin ich wiederhergestellt! Ein neues Band ist geknüpft! Alles je Gewesene ist da, auf daß es verewigt werde!

Das ist der ungeheure Augenblick des "Ego te absolvo a peccatis tuis – Ich spreche Dich los". Wer es hört, hört das glücklichste Wort, das er in seinem Leben hören kann! Auf dieses Wort hin kann er es wagen. Und es wirkt nach. Und er wird immer neu auf dieses Wort hin wagen können, in Ihm, durch Ihn und mit Ihm aufzuatmen und mit Ihm zu sagen: "Ich bin, der ich bin, weil ich aus Gottes Geschlecht bin, göttlicher Natur teilhaftig, nicht mehr bloßer Mensch, sondern für die Wonnen des innerdreifaltigen Gottes bestimmt, jetzt schon drinnen."

Und einmal wird der Tag anbrechen, da ich im ewigen JETZT, in dem alle Vergangenheit der Welt, die rein und gut war, heimgeholt ist, da ich im ewigen JETZT die ewige Wonne vollauf genieße und endlose Macht in Fülle ausübe, wie jetzt schon im Geheimen, dann aber offenbar. Dann wird offenbar werden mein Ruf und mein Besitz, meine Geltung, mein Erb und Eigen. AMEN.