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Geistliches Wort im März 2008

Zum Passionssonntag

 

Es gibt Fragen, die es nicht verdienen, daß ein denkender Mensch sie in den Mund nimmt, geschweige denn sich um eine Antwort darauf bemüht. Es gibt andere Fragen, welche die Weltgeschichte in ihr Repertoire aufgenommen hat, Fragen, die zu geflügelten Worten geworden sind. Aber auf dem langen Weg durch die Jahrhunderte ist auch solchen ursprünglichen Menschheitsfragen der Flügelschlag des Geistes erlahmt, und weil ein jeder sie im Munde führt, sind sie zur abgegriffenen Phrase geworden. Die Menschen haben es allmählich vergessen, daß es Fragen sind, vor denen man eigentlich die Schuhe ausziehen müßte, bevor man sie anrührt.

Zu diesen an sich überzeitlichen Fragen gehört auch die des heutigen Evangeliums: "Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?" Sie hat einmal wie ein Bombenschlag gewirkt. Heute aber kann schon jedes Schulkind sie aufsagen und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit kann man sie hören. Was einst nur der Heiland von sich sagte, glaubt schon bald jeder von sich fragen und damit behaupten zu dürfen, der noch keinen Prozeß verloren hat. So ist die welthistorische Frage zur Allerweltsfrage gebeugt worden, mit der sich niemand mehr recht sehen lassen kann. Nur dann und wann, wenn solch ein neuer angeblicher Messias auftaucht, muß er gewärtigen, daß man ihm diese Frage serviert und ihn damit vielleicht bald zum Schweigen bringt. Aber sonst stehen unserer Personalia, selbst wenn sie keine makellosen wären, unter dem Gesetzesschutz des Geheimnisses, unter der vornehmen Verschwiegenheit des gesellschaftlichen Taktes. Die Ehrenfrage ist unserem Geschlechte aus einer Gewissensfrage zu einer fast nur mehr juristischen Frage geworden. Spricht der Richter einen frei, wäre es auch nur mangels schlagender Beweise, so darf schon kein Mensch mehr an ihm zweifeln, und wäre er auch eine noch so zweifelhafte Existenz.

Indes, wo führt uns diese Aushöhlung der inneren Gewissenhaftigkeit, dieses Zurücktreten der Charakterfrage vor der Tüchtigkeitsfrage, wo führen sie hin? Tun sich da nicht Abgründe der Korruption auf, im Großen und im Kleinen? Müssen da nicht Enthüllungen und Skandale kommen, links und rechts, oben und unten, bei denen unserer Volk nicht nur um seienen sauer verdienten Spargroschen gebracht wird, sondern um ein noch viel höheres Gut, um das gegenseitige Vertrauen? Muß da nicht alles geschehen, daß die Charakterfrage, die Gewissensfrage wieder die erste wird in der beruflichen und gesellschaftlichen Qualifikation? Was tut uns mehr not? Menschen von skrupelloser Intelligenz oder Menschen von absolut verlässiger Gewissenhaftigkeit? Welche Frage ist vordringlicher: Was kann er? Oder: Was ist er? Was setzt er durch? Oder: Was hat er für ein Verantwortlichkeitsgefühl? Sie geben mir alle die gleiche Antwort: Die Menschen mit der weißen Weste sind uns heute notwendiger als aller Geist und alle Energie der Verantwortungslosen.

"Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?" Ich sagte vorhin, diese Frage hätte einmal eingeschlagen wie ein Bombenschlag. In der Feuerkraft dieser Frage erschien die hehre Gestalt Christi noch einmal so groß, seine Allmacht potenziert, seine Wahrhaftigkeit garantiert, seine Autorität verdoppelt. Diese Frage machte die Neider verlegen, die Zweifler lächerlich, die Feinde stumm und ohnmächtig. Dieser Beweis der persönlichen Lauterkeit wirkte stärker als der Jubel der Geheilten, der Dank der Auferweckten, der Gehorsam der Meereswogen. Diese Untadligkeit gab ihm Macht über die Menschenherzen wie nicht zwölf Legionen Engel, wie nicht die Reinheit seines davidischen Blutes, wie nicht der Schutz des Kaisers. Denn es fühlte der letzte Mann in Israel. Dieser Eine, dieser Reine, dieser Selbstlose und Sündenlose tat ihnen mehr not als all die strenge Weisheit der Pharisäer. Weisungen aus solchem Mund verpflichten, Worte aus solchen Herzen wollen gehört sein, Werke aus solcher Hand haben Gewicht. Fürwahr, er kann Nachfolge fordern. Von den anderen aber heißt es: "Ihre Worte hört, aber ihre Werke tuet nicht!"

"Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?" Seit Christus ist keiner mehr gekommen, der so gefragt hätte. Und, wir gestehen es frank und frei heraus, daß keiner von uns diese selbstsichere Frage mit reinem Gewissen tun könnte. Wir würden damit vor uns und anderen jämmerlich zuschanden. Auch der edelste Mensch wird von der Unbestechlichkeit seines Gewissens immer eine Armseligkeit bleiben, ein Wollen und Nichtkönnen, mögen auch die anderen ihn im Heiligenschein sehen.

Da erhebt sich nun die Frage: Soll es bei dieser Konstatierung allgemein menschlichen Ungenügens verbleiben? Sollen wir nun heimgehen mit dem angenehmen Gefühl, daß uns diese etwas heikle Frage einfach nicht tangiert? Sollen wir überhaupt jegliches sittliche Streben aufgeben, weil des Strebens für uns Sterbliche doch kein Ende und endgültiger Erfolg ist? Oder sollen wir nicht lieber aus der Christus-frage eine Christen-frage machen, die jeder sich selbst stellt: Wer von uns weiß sich keiner Sünde schuldig? Wer hat im vergangenen Jahr allezeit Gott gegeben, was Gottes ist? Den Weihrauch des täglichen Gebetes? Das Opfer echten, lebendigen Glaubens? Den Wohlgeruch eine ungebeugten Lebenswillens? Den Kindessinn eines unbeirrbaren Vertrauens? Vertrauens auf Gott, auf die Zukunft, auf den Endsieg der Gerechtigkeit und der Tugend? Wer ist seinem Mitmenschen allezeit entgegengetreten in der Gesinnung eines Bruders, einer Schwester in Christo? Den Freunden? Den Feinden? Den Fremden? Den Höhergestellten? Den Untergebenen? Wer hat die Gesetze des allgemeinen Wohles, die Schranken der sozialen Gerechtigkeit nie dem Egoismus preisgegeben? Der eigenen Bequemlichkeit, dem eigenen Vorteil, dem einseitigen Standesinteresse? Wer hat kein Ärgernis, keine törichte Rede, kein ungutes Wort, kein scharfes Urteil auf dem Gewissen? Wer hat nie eingestimmt in das Geschrei und Geseufze der allgemeinen Unzufriedenheit und Verdrossenheit? Wer hat bei sich und anderen stets der blinden Leidenschaft gewehrt und der Vernunft, dem Gewissen, der Rechtlichkeit, der Entsagung das Wort geredet? Und wer hat die besonderen Forderungen unserer Zeit nie aus den Augen gelassen: die Glaubenstreue, die Nüchternheit und Sparsamkeit, die Berufstreue und das Ausharren im Ringen und Schaffen? Ja, wer von uns weiß sich keiner Sünde schuldig? Keiner Schwachheit, keiner Bosheit, keiner Selbstsucht?

Erinnern wir uns unserer österlichen Pflicht, an das heilige Sakrament der Buße. Dort soll vor Gottes Angesicht wieder recht werden, was unrecht war. Soll gesühnt werden, was schuldhaft war. Ein ernster Gang! Denn er kostet Mühe und innere Überwindung. Ein bitterer Gang! Denn er bedeutet Verdemütigung. Aber trotz allem ein Gang der sein muß! Sein muß – um Christi willen. Christus wartet auf uns. Christi Vollkommenheit verpflichtet uns. Christi Opfertod gebietet uns. Christi heiliges Sakrament ladet uns ein. Christus steht vor uns in seiner unvergänglichen Werbekraft als der Sündenlose, allzeit Reine. Wer kann da widerstehen und sagen: Ich will nicht! Ich entziehe mich!? Und wenn uns gelegentlich Anwandlungen kommen, uns in der Sünde wohl zu fühlen und mit dem Beispiel anderer uns zu entschuldigen – in Blick auf ihn! Und wir wissen wieder, daß unserer Sünden nicht nur liebenswürdige Schönheitsfehler sind, sondern ein ernster Makel, eine traurige Schuld, eine bedenkliche Krankheit und Schwäche unserer Seele. Daß Bußsakrament ist sicher keine moderne Erfindung. Im Gegenteil! Es kommt uns manches daran hart genug vor. Aber solange Christus der Sündenlose ist, und solange wir, seine Jünger, arme Menschen sind und doch ihm nachfolgen sollen, muß er unserer Armseligkeit ein Sakrament der Entsündigung gewähren, in dem wir Gewissensbefreiung und Willenskraft finden. Auch auf die Gefahr hin, von Freund und Feind darin mißverstanden zu werden; von der unnötigen und unrechten Qual, welche manche gute Christenseele sich aus diesem tröstlichen Sakrament bereitet, gar nicht zu reden.

Ein Volk mag krank sein an Seuchen und Sünden. Aber so lange es Empfinden hat für Sünde und Schuld, das Verlangen nach Reinheit und Sühne, so lange darf man an seine Zukunft glauben. Solange ein Volk beichtet, ist es nicht verloren. An uns ist es nun, den Gang zu tun. Mag es immerhin einige Entschlußkraft kosten! Es wird auch die Freude nicht fehlen! Je schwerer der Hinweg, desto leichter der Heimweg. Gerade die Seele, die es am tiefsten und beschämendsten empfunden hat, was es heißt, beichten und sühnen müssen, gerade die wird es auch am stärksten und köstlichsten erfahren, was es heißt, von Christus, dem Sündelose, entsündigt und gesegnet worden zu sein.

Mit den besten Segensgrüßen für ein gnadenreiches Osterfest

Abbé Oliver E. Busse
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