"Meine Seele harrt des Herrn"
Seit Wochen belebte ein Gedanke all unser Tun, war ein Wort in aller Munde: "Weihnachten". Nun ist der heilige, lang erwartete heilige Tag angebrochen. Zu Ende ist das lange Warten, das Gotteskind ist nun unser. Das ist die große Lehre des Weihnachtsfestes: 1. Warten auf Gott, 2. Ruhen in Gott.
1. Warten auf Gott
Die Pforten des Paradieses hatten sich nach der Sünde Adams geschlossen. Die Menschen wußten durch göttliche Offenbarung, daß sie dereinst wieder imstande sein würden, des Paradieses teilhaftig zu werden. Aber sie mußten warten, viertausend Jahre lang, bis "der Schlüssel Davids" die Pforten wieder öffnete. Voll Verlangen hielt die Menschheit nach dem gesegnten Tage der Geburt des Erlösers Ausschau. Aber als er geboren wird, wartet er noch viele Jahre in der Verborgenheit, bevor er sich den Schriftgelehrten und Führern des israelitischen Volkes zeigt. Er schließt sich in die Enge der Hütte von Nazareth ein und läßt Millionen voll Bangen auf die Rettung warten, sagt ihnen gewissermaßen, was er bei der Hochzeit zu Kana zu seiner Mutter sagte: "Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Warte!"
Und warten müssen alle. Der Kranke am Teich von Bethsaida 38 Jahre bis zu seiner Heilung, die sündige Samariterin, die Jahrzehnte an den Brunnen hinausgegnagen war, bis ihr die Augen geöffnet wurden, die Witwe von Naim, bis man ihren Sohn zu Grabe trug, die Geschwister des Lazarus noch Tage nach dem Begräbnis, bevor der Herr durch sein Machtwort dem Tod seine sichere Beute entriß. Ein ganzes Leben lang, voll Sünde und Not, mußte der rechte Schächer, der hl. Dismas, warten, ehe er in der letzten Minute seines Lebens die Verheißung vernahm: "Heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein." –
Ja, Gott läßt uns Menschen warten. Wie gerne wollten wir nicht oft dem Warten ein Ende bereiten, unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, wenn wir nur wüßten, wie. So aber bleibt nur das Warten, man muß es werden lassen, ohne zu wissen, was es wird, wie es wird, wann es wird. Aber gerade dieses Warten ist Gott so wohlgefällig, weil Warten die Demut der Niedrigen, der Dienenden, der Bettler ist – und genau dies sind wir vor Gott.
2. Ruhen in Gott
Unser Warten auf Gott kann oft sehr ungeduldig sein, wodurch es nicht leichter wird. Aber das Ruhen ist die Vollendung des geduldigen Wartens, man ist wunschlos und zufrieden. In der Krippe liegt die personifizierte, wunschlose Ruhe. Das kleine Kind, das so friedlich lächelt, weiß sehr wohl, daß Jahrtausende in Seufzen und Tränen auf es gewartet haben, es kennt nur zu gut die Not der armen Menschen und hat keinen sehnlicheren Wunsch, keinen brennenderen Durst, als ihnen zu helfen. Aber seine Stunde ist noch nicht gekommen, noch ist es nicht der Wille des Vaters. Und so ruht das Gotteskind und lächelt friedlich, wie eben Menschenkinder lächeln. Diese wahrhaft göttliche Ruhe, die ein Erbstück des Himmels ist, wird ihn sein ganzes Leben hindurch begleiten, er wird keinen anderen Wunsch kennen, als daß der Wille des Vaters erfüllt werde. –
Sehnen nicht auch wir uns nach einer solchen abgeklärten Ruhe? Aber der Mensch ist nun einmal ein widersprüchliches Wesen. Als Ebenbild Gottes trägt er eine Ahnung des Unendlichen in sich, die ihm überall unbewußt vorschwebt. Und dieses Unendliche soll er erreichen mit endlichen Kräften. Und sehr oft richtet er den Drang nach dem Unendlichen, der in seine Brust eingeschlossen ist, auf endliche Güter. Er jagt rastlos dem Glück nach, und wenn er glaubt, es mit gieriger Hand ergreifen zu können – hat er ein Totengerippe in der Hand! Alles war nur grausame Täuschung. Die wahre Ruhe findet der Mensch nur in Gott: "Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir."
Mögen wir, liebe Leser, an der Krippe des neugeborenen Gotteskindes das geduldige Warten auf Gott lernen, um dereinst in ihm ruhen zu können.
Kommt, ihr Hirten, kommt, ihr Armen
Seht das ewige Erbarmen,
Das sich uns hat zugesellt:
Nicht den Königen der Erden,
Hirten will er ähnlich werden,
Er, der Herr der ganzen Welt!
Laß mich von der Erde Götzen,
Ihren Freuden, ihren Schätzen
Hin an deine Krippe fliehn,
Und mit dir, du Himmelsknabe,
Unter deinem Hirtenstabe
Bis zur Schädelstätte ziehn!
(Hungari, "Gottesblumen")
Mit priesterlichem Segen
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