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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
Osternacht 1986
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

versammelt zur heiligen Nacht, da der Herr auferstand von den Toten. Wir wissen, daß jetzt in dieser Stunde und in diesem Raume alle Jahrtausende zusammenkommen. Jetzt und hier versammeln sich die Israeliten, den Hut auf dem Haupt, Stab in der Hand, die Lenden gegürtet, und essen schnell das Pascha-Lamm, in dem kein Tropfen Blut bleibt. Und mit dem Blute sind die Pfosten der Türen bestrichen, damit der Engel, der würgende, vorbeigehe. Sie sind im Aufbruch in das Gelobte Land. Hier an diesem Ort und in dieser Stunde ereignen sich alle Geheimnisse, alle Geheimnisse der Verheißung und der Erlösung. Es ist dies die Weihe-Nacht des Jahres, die große Nacht, aus der Du, aus der ich hervorgehen, die gebärende Nacht des Heiles. Aus dem Schoße der Nacht geht hervor der vollendete Mensch, der vollkommene, mit dem unüberbietbar göttlich schönen Körper, strahlend, ganz durchdrungen vom vergöttlichten Menschengeiste und vom Heiligen Geiste, durchherrscht vom erlösten Geiste und der befreiten Seele des Menschen, ein völlig gefügiger, durchsichtiger, gehorchender Leib. Das ist das Geheimnis dieser Nacht. Wie ein Blitz fuhr es auf. In diesen Leib kehrte zurück, um alle Wunden leuchten zu lassen, der Geist, das Wasser und das Blut. Die Erde, die Welt ist in Ihm vollkommen. Nichts mehr kann hinzugefügt werden dieser Vollendung. Und sieh auf diesen Leib, der eine einzige leuchtende Wunde ist, er ist geöffnet, gepflügt. Er ist die fruchtbare Erde. In diese fruchtbare Erde bist Du, bin ich gefallen, um aufzuerstehen daraus neu. Und siehe, in diesem geöffneten Leibe mit den unzähligen Wunden, da ist auch Deine Not, Deine Ratlosigkeit, Deine Sündenqual eingezeichnet. Sei getrost, es ist Ihm alles bis ins Innigste bekannt. Er hat alles, Dein ganzes Leiden, Deine Fragen, Deine Schwierigkeiten, was Dich belastet und quält, so durchlitten, wie Du es gar nicht durchleiden kannst. Er ist Dir näher, als Du Dir selber nahe bist. Er weiß alles. Birg Dich in Ihm!

Siehe, ein kühnes Wort ist gesagt im "Exsultet". Die lateinische Kirche wird einmal im Jahre überschwenglich. Das ist im "Exsultet", im Lobgesang der Osterkerze, die den auferstandenen Herrn bildet. Und da heißt es: "Notwendig war die Verweigerung des Menschen. Glückliche Schuld, die einen so erhabenen Erlöser verdiente!" Dieses erlösende, tröstende Wort präge Dir doch ein! Schnell kommt der Tag, der öde, täuschende, tückische Tag, der Tag, an dem Du Dich wiederfindest in allen Sünden, erbärmlich zugerichtet, versagend, alle Vorsätze verletzend. Ja wie ist es dann mit der Erlösung, wenn sich vor Deinem geistigen Auge wieder die alte Armseligkeit ausbreitet und Dir Dein Dasein begegnet im Zeichen der Schmach? Und es wird wieder so sein. Und Du wirst es wahrnehmen, wenn anders Du redlich mit Dir umgehst. Was dann mit der Erlösung? – Dann denke in jedem Augenblick an die "glückliche Schuld". Dann denke daran, daß all dieses Panorama der Armseligkeit ein magnetisches Panorama ist. Das Erbarmen des Herrn wird angezogen durch die Sünden und Schwächen und Armseligkeiten und Krankheiten und Niederlagen des Tages. Mitten darin leuchtet doch das Licht. Es geht nicht aus am Dienstag oder am Mittwoch oder am Freitag. Mittendrin, im schweren Tag, in Schweiß und Hitze und Ärger und Sorge und Zorn und Haß und Gemeinheit und allem, was Deine Seele und Deine Gedanken durchzieht, gerade deswegen: Die Kraft und die Herrlichkeit kommen in der Schwachheit zur Vollendung. Bleibe darum in dieser Freude! Bleibe in diesem ungeheuren Selbstbewußtsein, daß Du ein neuer Mensch, ein mächtiger Mensch bist, aus dessen Arbeiten und Leiden Ströme lebendigen Wassers hervorgehen und dem alle Dinge zum besten gereichen – auch die Sünden, wie der hl. Augustinus so nachdrücklich betont. Es wäre schlecht um unsere Erlösung bestellt, wenn sie nur beschränkt wäre auf hohe Zeiten und außergewöhnliche Gemütserhebungen. – Nein! Gerade in der Finsternis leuchtet das Licht, und in der Armut kommt Sein Reichtum durch und Seine Liebe. Und Dein Selbstbewußtsein, das ist ja das, wonach Du Dich sehnst, Freude zu haben an Dir selbst. Du wirst es nie ableiten können vom Gelingen und von der Bewährung, jedenfalls sehr, sehr selten, ganz vereinzelt, kaum nennenswert. Aber Du wirst es ableiten können und sollen vom Erbarmen, das mitten im Elend der Sünde von Dir Besitz ergreift, laufend, ununterbrochen, wenn Du es willst. Und Du willst es. Und erinnere Dich an diese Deine Entscheidung. Und aus den letzten Winkeln Deiner Armseligkeit erneuere diese Entscheidung: "Ich will Herr. Ich will. Ich will es am Morgen und am Mittag und am Abend, schlafend und wachend und in Sünde und Not. Ich will es!" Und im Überfluß strömt es in Dich ein, nicht obwohl du sündigst, sondern weil du sündigst. Darin gründet der demütige, heilige, befreit befreiende Stolz.

Nimm dies doch mit in Deinen Tag. Du brauchst nicht mürbe, Du brauchst nicht traurig zu werden. Denn mitten in dieser Tiefe, geschlagen von den Wunden, da ereignet sich das Schweigen, die Stille. Diese Stille ist eine Revolution, die Revolution der Neugeburt, die Revolution des Wachstums, der Neuwerdung, der Aufkeimung. Das ist Erdbeben. Das ist Gewitter – die Stille. Mittendrin ereignet es sich. Glaube doch! Mittendrin wohnt der Herr. Und, wie ich es oft zu sagen pflege, wenn Du meinst, was bin ich Ihm so fern, welchen weiten Weg habe ich vor mir: "Du brauchst nicht zu gehen, Ich bin schon da" ist Sein Wort. Und das nimm mit in alle Stunden. Der Herr ist schon da, unvergleichlich, unvorstellbar nahe. Denn Christus ist auferstanden, ALLELUJA!

Ihnen allen, jedem einzelnen von Ihnen, all Ihren Lieben, den Kranken vor allem – sagen Sie es allen weiter – wünsche ich reiche, österliche Gnaden und Freuden. Es möge aus dieser heiligen Nacht in alle Seelen großes Licht und großer Trost kommen. AMEN.