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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

1. Advent 1982

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

es gehört durchaus in den Rahmen des Gesamtthemas "Auseinandersetzung, Abrechnung mit jahrhundertealten Vorurteilen und Einstellungen", damit wir am Tage der Wende bereit stehen und gereinigt sind, um künftiges Unheil nicht mehr aufkommen zu lassen! Dazu gehört zweifellos die Betrachtung dessen, was der Priester ist, und wir wollen es heute tun mit Hinblick auf das Bußsakrament, meine lieben Freunde.

Über das Priestertum ist so unendlich viel zu sagen, daß man nur einiges herausgreifen kann. Wie es überhaupt bei der Predigt über die Geheimnisse nicht das Schwere ist zu überlegen, was man sagt, sondern was man ausläßt. Das ist die Kunst und das ist die Last des Predigers. Versuchen wir also gewisse Andeutungen, um das Wesen des Bußsakramentes deutlicher zu machen.

Der Priester, in dem Christus Sich fortsetzen will, Seine Wirksamkeit, Seine gottmenschliche, allumfassende Liebe, kommt eben dadurch, daß er das Gottmenschentum – Gott und Mensch! – in sich vereinigt und darstellt: in Spannungsfeldern!

Von dem einen Spannungsfeld habe ich schon des öfteren gesprochen. Jeder, der in einem Spannungsfeld lebt, ist in Versuchung, nach dem einen oder anderen Pol auszuschlagen und einseitig zu werden und seine wahre Mission zu vergessen! So kann der Priester sehr leicht in Versuchung geraten, entweder sich vollkommen zurückzuziehen ins Göttliche, Jenseitige, in die Einsamkeit, daß er die Menschen flieht, daß er nicht an den Tischen der Menschen sitzt, schon gar nicht an den Tischen der Sünder, sondern daß er mit Horaz sagen kann: "Ich meide und Haße das gewöhnliche Volk" – eine Gesinnung, die selbstverständlich niemals von einem Priester Besitz ergreifen darf, daß er noch nicht einmal denken darf, wo es ein Laie, ein getaufter und gefirmter, nicht in sich hegen darf. Denn dieses "Ich verachte das gemeine Volk, Wehre es von mir ab!" – das ist pharisäische Gesinnung und Ausdruck eines falschen, unchristlichen Elitebegriffes, eines Elitebegriffes, der den Menschen dazu verführt, sich über andere erhaben zu dünken und im Besitz aller Weisheit und Zucht und sich immer im Gegensatz weiß zu den anderen und dafür dankt, daß er nicht ist wie die anderen.

Ein höchst gefährlicher Standpunkt, in den ein Priester sehr leicht geraten kann, wenn er sich ganz zurückzieht in die Sphäre des Himmlischen – mit Gott vertraut auf DU und DU – und schließlich in eine hochmütige Abwehrhaltung zum gemeinen Volke kommt!

Die andere Gefahr ist, daß er sich nur an die Tische der Menschen setzt, sich "gemein" macht – im schlechten Sinne des Wortes! – und darüber das Göttliche vergisst. Zwar soll der Priester "allen alles sein" – wie der hl. Apostel Paulus sagt "allen bin ich alles geworden." –, aber nicht indem er so tut Als-Ob, indem er geradezu schauspielerisch die Manieren anderer Leute kopiert, sondern indem er sich in jeden hineinversetzt, in jeden hineinschlüpft, von dem anderen her denkt. Das ist die gesunde Haltung, die Christushaltung! Aber es ist die Gefahr, daß er sich verliert und vergisst, wer er ist, und andere vergessen macht, wer er ist und woher er kommt.

Der Priester steht also in der ständigen Gefahr, entweder nach der einen Seite oder nach der anderen Seite sich zu vereinseitigen statt alles zu umfassen. Das "Und" ist priesterlich! Und der Priester hat das katholische "Und" zu verwirklichen!

Jüngst meinte jemand, das sei wohl so, daß Christus zu sechzig Prozent Gott und zu vierzig Prozent Mensch gewesen sei, und war baß erstaunt zu vernehmen, daß er hundertprozentig Gott und hundertprozentig Mensch war. Er war beides, um den Menschen heimzuführen, aber auch in alles Menschliche einzusteigen, noch in die letzten Dunkelheiten, an die äußersten Enden, an die äußersten Winkel. Dort soll der Priester schon längst zugegen sein im Geiste der Liebe und des Mitleidens, ehe irgendein Mensch dahin gelangt, wo er dann wähnt "hier bin ich außerhalb des Gottmenschen". Und er hört die Stimme, dort an den äußersten, verlorenen Enden: "Ich bin schon da. Schon längst bin Ich da. Ehe du gefallen und gestürzt bist, habe Ich Deinen Sturz erlitten und mitgefühlt, als ich am Ölberge für Dich litt. Ich bin Dein Nachbar auch in den äußersten Verlorenheiten und Verkommenheiten menschlicher Möglichkeit."

Dies zu vereinen, dieses Spannungsfeld aufzuarbeiten, zu vollziehen, zu bewältigen, ist die ständige, lastende Aufgabe des Priesters! Sie geht im Grunde, wie alles Christliche, über Menschenkraft hinaus und bedarf Seines Erbarmens. Selbstverständlich würde ein Priester wie jeder Arzt, noch so fromme Arzt total krank werden und an Leib und Seele zugrunde gehen, wenn er sich in jeden versetzen und mit jedem total identifizieren würde. Aber es sind einige Schlüsselpunkte, einige Positionen, die symbolisch für alle stehen. Und er muss wenigstens jeglichem menschlichen Leid und auch jeglichem Zustand menschlichen Versagens und menschlicher Sünde ein tief vertrauter Freund und Nachbar sein, voller Erfurcht.

Das andere Spannungsfeld, meine lieben Brüder und Schwestern, ist das, was den Menschen und die Menschenkenntnis selbst betrifft. Es lastet auf niemandem mehr das Gebot der Menschenliebe, der wirklichen Menschenliebe als auf dem Priester! Denn Menschenliebe ist mehr als eine billige Leutseligkeit, daß man halt mitmacht, daß man gesellig ist, daß man ein guter Kamerad ist. Das mag irgendwo dazugehören, aber die wirkliche Liebe, die Christusliebe beginnt genau dort, wo der Priester durch Gemeinheiten und Abgefeimtheiten, die er erlebt und erkennt – und er erkennt sie, wenn er wach ist, wie kein anderer –, durch die Mauer und Phalanx des Niedrigen hindurchliebt. Das ist unendlich viel schwerer als irgendeinen Zuchthäusler, Mörder oder klaren Verbrecher zu lieben. Es gibt viel, viel Schlimmeres als das, was als deutliches und gravierendes Verbrechen vor aller Augen liegt! Und wir alle sind anfällig dafür!

Bilden wir uns ja nicht ein, die Tatsache, daß wir mit dem Gesetz nicht in Konflikt kommen, würde uns zu achtzig Prozent gottgefälliger machen. Ganz und gar nicht! Nicht ein Anhauch dieses Wahns soll in uns Platz greifen! Viel schlimmer ist der leise, kühle, eiskalte, infame Luftzug der Hinterhältigkeit, der Vermucktheit, der Verducktheit, das vielsagende, wohlweisliche Lächeln, die abgefeimte Kunst, andere schlecht zu machen, die Bildung von trüben Konventikeln. Und keiner soll sich einer Täuschung darüber hingeben, daß ein Priester dessen nicht gewahr wird. Er wird es gewahr. Und es ist menschliche Natur, darauf mit Haß und Zorn zu reagieren! Diese scheinbar so sanfte Gemeinheit ist das Schlimmste, was es gibt! Sie ist tödlich und mörderisch, und Christus hat sie angeprangert, meine lieben Freunde!

Und es soll in diesem Zusammenhang gesagt werden. Es gibt ein altes Wort - ein wahres Wort. Innerhalb der Kirche ist dieses Wort geboren worden: "Omne malum a clero, omne bonum a clero", das heißt "vom Klerus, von den Geistlichen kommt alles Gute und alles Übel", das Beste und das Schlimmste, alle Heiligkeit und alle niedrigste Gemeinheit. Die Kirchengeschichte zeigt es! Und der Herr hat es vorausgesehen in dem Wort "Ärgernisse müssen kommen; wehe aber dem, durch den sie kommen".

Keiner soll irre werden angesichts einer Kirchengeschichte, die voll ist von dunklen und trüben Kapiteln. Denn wer das Heiligste zu bewahren hat und darüber versagt, richtet den schlimmsten Schaden an. Dasselbe aber gilt für die Frommen im allgemeinen, nicht nur für die Kleriker. Von den Frommen geht das Beste aus: Heiligkeit, Hingabe, Echtheit, Gradheit, Klarheit, Offenheit, Durchsichtigkeit, Redlichkeit bis ins letzte, ungeheuchelte Liebe – alles, was die Heiligen als große Beispiele vorzuweisen haben; aber ebenso geht gerade von den Frommen das Gemeinste, Abstoßendste, Heuchlerischste, Vermuckteste, Verduckteste, Heimtückischste, Verschleierte, Unklare, Unredliche, die große Selbsttäuschung in Massen aus.

Darum ist es nicht nur das Ärgernis des Kreuzes, das viele Heiden von der Kirche fernhält – denn das ist ja ein gutes Ärgernis; das Ärgernis des Kreuzes zieht wie ein Magnet die Besten an! –, aber es gibt auch das böse Ärgernis der Frommen! Und das stößt viele ab. "Ärgernisse müssen kommen. Wehe aber dem, durch den sie kommen."

Das müssen wir wissen. Das ist eine klare, unumgängliche Wirklichkeit! Und keiner kann mit klarem, realistischem Blick mit der Kirche zurecht kommen, wenn er diese Wirklichkeit nüchtern sieht und verkraftet und dennoch die Treue hält, dennoch liebt, bei aller Klarheit, wie gemein jeder, Du und ich, sein können, wie in jedem von uns alles Böse und Verbrecherische als geheimnisvolle Möglichkeit haust, daß keiner, der aszetisch einen gewissen Grad der Vollkommenheit erreicht hat, davor gefeit ist.

Sehr fragwürdig übrigens diese Feststellung, die man an sich selber gewahr wird, daß man meint "vieles ist hinter mir; im großen und ganzen habe ich eine Stufe erreicht, von der aus ich sagen kann, X Y Z menschlicher Verbrechen kann mir nicht mehr passieren". Wer so denkt, dem wäre es eine gottgefügte Gnade, wenn der Satan ihn eines schwachen Tages zu gewissem schlimmen Versagen verleiten würde. Er käme zum Lichte und zur wachen Vernunft, um nur auf das Erbarmen des Herrn zu vertrauen!

Das alles müssen wir wissen. Der Mensch ist zum Bösen geneigt von Jugend auf. Und ich kenne einen Prediger aus meiner Jugendzeit, der des öfteren den Ausdruck von der "Kanaille Mensch" gebraucht hat – ein wahres Wort! Und im Psalm wird es noch deutlicher ausgedrückt: "Omnis homo mendax – jeder Mensch ein Lügner", zumindestens einer, der sich selbst belügt und sich über sich selber täuscht. Das ist die eine Wirklichkeit, die auch der Priester klar sehen muss.

Ist damit der Mensch erschöpft? – Selbstverständlich nicht! Denn in diesem Spannungsfeld liegt auch das andere, Urgegebene, Eigentliche, der Lichtgedanke Gottes, zu dem zu gelangen Christus durch Sein Blut die Bahn freigemacht hat. Darum können und sollen und dürfen wir durch die Wand bitterer Enttäuschungen und abstoßender Erfahrungen hindurch glauben und lieben in jedermanns innerste Wesenstiefe hinein, und zwar mit äußerstem Nachdruck. Die christliche Liebe beginnt nicht dort, wo man einen sympathischen, redlichen, offenen, aufrichtigen Menschen liebt. Das tun auch die Heiden. Das nützt nichts. Die christliche Liebe beginnt dort, wo ich den abstoßenden, unsympathischen, ekelerregenden, miesen Charakter von Mensch – nicht als Charakter, aber als Menschen, der ja seinem Charakter vorgelagert ist –, dennoch liebe und mit Nachdruck hindurchliebe! Und keiner ist davon dispensiert! Und man soll gerade seine Liebe dort ansetzen, wo sie am schwersten ist. Und keiner ist von dieser schweren Aufgabe dispensiert! Darum muss das uns die erste Frage sein, wenn wir unser Gewissen erforschen: Wie steht es mit meiner Mühe um die Liebe gerade gegenüber dem abstoßenden Menschen, der einen abstoßenden, feigen, heimtückischen Charakter hat? Ihn links liegen zu lassen und sich aus der Affäre zu ziehen mit den Worten "Er ist mir wurscht", gilt nicht, ist sogar schlimmer als Haß. Haß ist Interesse! Haß hat alle Chance, sich in Liebe zu wandeln! Wehe aber der Verachtung! Wir dürfen sie nicht an uns heranlassen! Es darf uns keiner gleichgültig sein! Und ein Nietzsche mochte es sich leisten können zu sagen, "Was Du nicht lieben kannst, daran sollst Du vorübergehen".

Christentum geht weiter. Christentum heißt: Was Du nicht lieben kannst, gerade darauf und da hinein mußt Du mit allem äußersten Liebeswillen stoßen und Dich damit vereinen im Geiste und im Herzen. Selbstverständlich übermenschlich schwer, aber das Übermenschliche ist eben das Christliche! Und ein Christ hat kein Recht, sich mit dem rein Menschlichen und mit den bloß menschlichen Möglichkeiten zu begnügen.

Nun wollte ich von daher etwas über das Bußsakrament sagen. Das würde aber zu weit führen und würde den Zusammenhang der Gedanken allzu sehr belasten. Darum das nächste Mal über das Bußsakrament. Von diesen Voraussetzungen der heutigen Predigt aus betrachtet das Bußsakrament: seine Erhabenheit, seine Unersetzbarkeit, seine unabdingbare Herrlichkeit – aber auch die Gefahr des Missbrauchs, der es reichlich erliegt. Aber die Gefahr des Mißbrauchs ist nie ein Einwand gegen das Mißbrauchte, sondern bestätigt seinen allerhöchsten Wert! Was nicht mißbraucht werden kann, gehört den untersten Stufen an. AMEN.

Schlüsselbegriffe ?
   
Priestertum
   
Charakter
   
Haß
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