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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

14. Sonntag nach Pfingsten 1985

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

"Zuerst das Reich Gottes"... "Zuerst": damit ist gemeint "nur". Das ist das allumfassende "NUR", das unmittelbare. Im Höchstmaß werden die irdischen Güter einem zuteil, wenn sie nicht unmittelbar angestrebt werden, sondern in Christus!

Was heißt denn überhaupt "Reich Gottes"? – "Reich Gottes" heißt: Es ist in euch – in Dir! Christus herrscht über Dich! Aber das ist eine eigene Art von Herrschaft. Es ist die Herrschaft, die darin besteht, geliebt zu werden. "Geliebt werden" heißt "herrschen" – "lieben" heißt "dienen"! Das meint der hl. Paulus, wenn er sagt "Ihr Frauen seid den Männern untertan in allem". Das heißt: Liebt eure Männer!

Das ist ein ganz anderer Begriff von "Untertan-Sein" als in dem Wort, das Christus ausradiert und ungültig gemacht hat: "Er soll dein Herr sein." Das gilt nicht mehr! – Aber es ist ein "Untertan-Sein" in der Liebe. "Geliebt werden" heißt "herrschen" – "lieben" heißt "dienen"! Und das beruht auf Gegenseitigkeit! Nur aus stilistischen Gründen wiederholt sich der hl. Paulus nicht, wenn er den Männern sagt "Liebet eure Frauen". Das ist dasselbe wie "Untertan-Sein".

Lieben – sich lieben lassen; sich lieben lassen, herrschen: Lieben dienen, "Untertan-Sein". Das ist ein gegenseitiges Lieben und Herrschen, Beherrschtwerden und Dienen! Das ist das Zeichen der wahren Ehe, Zeichen des Ebenbürtigen beider Partner! Nicht zu verwechseln mit dem schillernden und falschen Begriff von "Gleichberechtigung". Es sind verschiedene aufeinander bezogene Pole, und die Spannung zwischen diesen beiden Polen begründet jegliche Kultur. Die heute übliche "Gleichmacherei" ist der Tod jeder Kultur! Mann und Frau werden unter die Planierraupe gesetzt, gleichgemacht. Das zeigt sich ja schon weithin in der Kleidung. Und wenn diese Gleichmacherei sich völlig durchsetzt, dann ist die Katastrophe vollends da, d.h. es ist dann noch nicht einmal nennenswert, ob ein solches Nicht-Volk überhaupt noch eine Katastrophe erreicht oder nicht. Es ist sowieso nicht mehr nennenswert dieses Volk, in dem es keine polaren Spannungen, kein DU-zu-DU mehr gibt!

Nun, "Reich Gottes" heißt also: Ich lasse mich von Ihm, der kommt und Sich mir anbietet, erobern. Ich öffne mich Ihm in der Armut des Geistes. Ich mache mich um Seinetwillen leer, um auf Ihn zu warten – "Komm". Das heißt: "Suchet das Reich Gottes." Und in diesem Warten, Sich-Hinhalten, Öffen, Kommenlassen, Sich-lieben-, Sich-erobern-, Sich-besitzen-Lassen, Besessensein von Ihm: in diesem DU-zu-DU – Gott und die Seele und sonst nichts! –, in diesem riesenhaften, unendlichen DU befindet sich der ganze Kosmos – alles! Alles ordnet sich da ein. Und es gibt daneben nichts!

Von daher muß dieses "zuerst das Reich Gottes" richtig verstanden werden. Das heißt nicht: Zuerst einmal dies und dann kommt zweitens das andere. – Nein! Dann kommt gar nichts mehr! Das ist alles! Das ist mit dem Wort "zuerst" gemeint. Ich lasse mich ganz von Ihm erfüllen. Und indem das geschieht – das ist etwas von kosmischem Ausmaß, erregendem Ausmaß, weltumspannend –, dann gewinne ich ganz neue Organe. Ich werde geweckt und finde auf einmal den Menschen unsagbar größer als vorher. Jetzt erst weiß ich, was es um den Menschen ist. Und nur der, der sich von Christus erobern, besitzen läßt, kann überhaupt verstehen, was es um die Menschenwürde ist, was es damit auf sich hat: Menschenwesen, Menschenwürde, der Mensch als DU und als ICH; der Mensch, der Gottbare, das gottbare Wesen, das sich öffnen kann, um von Gott erfüllt zu werden – aus sich nichts! –, um sein Nichts wissend sich dem unendlichen Sein hingebend, um geliebt, getröstet, erlöst, angenommen, bestätigt zu werden, unausdenkbar aufgewertet zu werden über alle Grenzen hinaus. Das ist der Mensch!

Indem ich das an mir weiß, geschehen sehe, erfahre, sehe ich jetzt den Menschen an mit neuen Augen, und zwar den Menschen, den je Einzelnen um des je Einzelnen willen. Und auf einmal kann ich lieben! Und der einzelne, der jeweils mir begegnet in seiner Eigenheit, unverwechselbar, unwiederholbar, der wird eben aus der Waagerechten hinaufgehoben in die Senkrechte, in das was Ihm gemäß ist: Gott, dem Gottmenschen, dem menschgewordenen und geopferten!

Was Ihm gemäß ist, das ersehe ich an dem, der mir begegnet. Und ich lege Wert darauf, auch diesen potentiell von Gott Erfüllten durch meine Gebete und durch meine Hingabe zu gewinnen und hinaufzuheben, herauszulösen, herauszuwecken – "Ecclesia, die Herausgerufene". Deshalb gibt es in der Hl. Schrift nicht den Begriff "die Menschen", es sei denn unter negativem Vorzeichen. "Die Menschen": das ist kein Thema im Raum des Gottmenschentums! Die Menschen hatten die Finsternis lieber als das Licht – und das gilt bis zum letzten Tag! Und die Menschen werden sich auch nicht bessern! Die Menschen werden keinen Fortschritt erfahren! Es wird keine "bessere Welt" geben! Das alles ist weder verheißen noch in Aussicht gestellt! Das ist wichtig zu wissen. Man löse sich von dieser Vorstellung: "die Menschen".

In dem Zusammenhang oft das dumme Gerede: "Jetzt haben wir schon zweitausend Jahre Christentum und die Menschen haben sich noch lange nicht gebessert." Die werden sich nicht bessern bis zum Jüngsten Tag! Laß also diese Hoffnung fallen! Das ist Zeitvergeudung, da irgendwelche Hoffnung dranzusetzen! Ebenso fragwürdig sind alle diese sogenannten "Offenbarungen", wenn von den Menschen die Rede ist. "Wenn die Menschen sich nicht bekehren, wenn die Menschen nicht beten und den Rosenkranz beten, dann wird eine Katastrophe kommen." – Die ist dann seit den Tagen des Sündenfalles bis zum letzten Tage laufend fällig, denn die Menschen werden sich nie bekehren und die Menschen werden nie den Rosenkranz beten – sondern nur der Mensch – DU!

Und das ist unendlich viel, und mehr kann es gar nicht sein, als wenn Du in den Bannkreis des Christus kommst und von Ihm erfüllt wirst. Über das Unendliche geht nichts hinaus! Du bist alles! Alles vermag ich in dem, der mich stärkt!

Dann freilich ergibt sich aus diesem Wissen "Gemeinschaft", "Ineinander". Da kommt dann alles hinein. Es ist in diesem riesengroßen, kosmisch unendlichen "NUR" alles drinnen, was Sein und Gewicht hat. Und alles Dienende kommt herein, und alles gewinnt auf einmal personale Brisanz, personales Gewicht und Belang. Darum natürlich wenn ich mich Christus hingebe – "natürlich", d.h. wesensgemäß, aus der Sache heraus sich ergeben –, wenn ich mich Ihm hingebe und Ihn einlasse, dann werde ich gedrängt sein zu tun die Forderung der Stunde, zu erfüllen, was je geboten ist. Ich werde dem Menschen dienen! Und dazu gehört, daß ich das Meine besorge ohne Sorgen, daß Meine tue: einen Schritt vor den anderen setzen, alles möglichst sauber, geordnet, pünktlich, genau, möglichst gut. Aus dem, daß Christus von mir Besitz ergreift und Gott in mich eindringt, ergibt sich eine höchst tätige, intensiv wache, zupackende Lebenseinstellung!

"Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch hinzugegeben werden": Die Vorstellung, daraus folge, daß ich am Tag neunzig Prozent der Zeit mit gehäuften Gebeten zubringe, um dann für den kleinen Rest so etwas pfuschend das Meine zu besorgen, das ist ein verbreiteter Irrtum! Man kann überhaupt nicht in Quantitäten denken! Es gibt so viele, die messen das Gebetsleben nach Quantitäten, nach einer Summe, nach einer Anhäufung von möglichst vielen Gebeten. Sie sitzen den Tag über da und haben dieses zu beten, jenes zu beten, das noch zu beten, jenes noch zu beten: "Ich muß noch das beten." Da kommt viel zusammen, eine Riesensumme. Und wenn darunter dann die Erfüllung der Pflichten – und jede Pflichterfüllung ist Liebe: Ordnung halten, Sauberkeit wahren ist Liebe, sind Elemente der Liebe zum Du hin, in jeder Beziehung –, wenn da etwas darunter leidet von dem, was ich tätig zu bewältigen habe, dann ist all dieses gesammelte Beten ein Greuel vor den Augen des Herrn der Heerscharen! Das muß gewußt werden!

Auf Quantitäten und zusammenzählbare Mengen kommt es nicht an! Aber es wird in vielen Kreisen gebetsmäßig zusammengezählt auf Teufel komm heraus. Aber das Zusammenzählen macht's nicht! Es ist ein großer Irrtum, in Mengen und in Zahlen und in Quantitäten zu denken! Das ist ein ES-Denken, wovon ich ja sooft rede. Aber Christus ist gekommen, uns vom ES ins DU hinein zu erlösen, aus dem Sächlichen ins Personale hinein! Und viele tragen einen Koffer mit von ES, lauter sächlichen Dingen: das Gebet, das und das tun, unternehmen, machen, machen, machen – auch im Religiösen. Aber da wird nichts gemacht, da geht alles hinein ins DU; da ist alles von Liebe durchdrungen, von Liebe durchweht und durchströmt, beseligt vom DU!

Beseligt, das ist der Erlöste! Und er kann sich nicht satthören von dem, was der Geliebte sagt und will. Und im Vollzug des jeweilig Gebotenen erfüllt sich dieses, vom ewigen DU erfüllt, durchdrungen, mit großer Macht ausgestattet sein. Machtträger und Wissender ist der, der in Christus lebt – Wissender, Gesandter, "Ite missa est" – und somit imstande ist, alles zu beurteilen, ohne beurteilt werden zu können, der die Dinge deutet, der auf hoher Ebene steht, auf hohem Berge und alles unter sich hat und überschaut, einzuordnen weiß. Er gibt Namen, Er deutet die Dinge, Er allein – von Christus her! Allen Bereichen weist er im Sinne dieses großen Liebesereignisses seine Funktionen, seine wesenhaften Aufgaben zu: dem Staat, der Politik, der Wirtschaft, der Technik, der Wissenschaft, der Kultur, der Familie. Mann und Frau und Mutter und Jungfrau und allen jeweiligen weiß er den Namen und den Sinn zu verleihen. – Aber er mischt sich nicht ein in die Einzelbereiche! Er hat nicht die Hoffnung, über die Waagerechte hin irgendetwas zu erreichen, etwas Sächliches zustande zubringen, irgendein System, sondern er sagt nur, wie alles im Lichte des mich mit Liebe überhäufenden Christus gesehen werden muß. Und so reißt er alle Bereiche aus der Waagerechten, aus dem Sächlichen hinein ins Personale! Von daher der schräge Querbalken des christlichen Kreuzes. Da ist ein waagerechter Querbalken und ein schräger: d.h. er wird aus der Waagerechten in die Senkrechte hinaufgehoben der Vollzug des wissenden und tätigen christus- und gotterfüllten Menschen!

Und daraus ergibt sich, wie gesagt, die wahre, innige Gemeinschaft. Alles andere verdient den Namen "Gemeinschaft" nicht! Und es gibt für uns nicht "die Menschen" und keine Hoffnung mit Bezug auf "die Menschen" und "die Welt"! Und es gibt keine "Menschheitsfamilie"! Es gibt keine Straßengemeinschaft, wie all dieser neue Krampf da heißt, mit Straßenfesten, oder der Generaldirektor von der Firma sagt: "Wir sind alle eine große Familie" – und wie dieser faule Schmus heißt!

Es gibt auch keine "Pfarrfamilie"! "Gemeinde" ist etwas ganz anderes. "Gemeinde" heißt nur: Hier ist Christus, an diesem Ort, und nimmt Beziehung auf zum jeweiligen, sich Ihm stellenden und öffnenden DU! Das ist Gemeinde – AUS!

Lesen Sie mal in der Apostelgeschichte, lesen Sie vor allem in den Briefen des hl. Paulus, ob da irgendetwas steht, wieviele jetzt schon zur Gemeinde von Galata oder Ephesus oder Korinth gehören. Die Zahl gibt's nicht im Neuen Testament! Da gibt es keine Zahlen, höchstens sinnbildhafte Zahlen oder Zahlen, wenn sie für ein Wunder relevant sind – gut. Aber normalerweise um irgendeinen Erfolg des Gottmenschen zu demonstrieren wird nie eine Zahl genannt! Das gibt's gar nicht! Deshalb ist mit Hinblick auf unser Hiersein die Zahl völlig irrelevant, sagt gar nichts! Du und Er sind hier – das ist alles! Dieses "NUR" waltet hier. Darum schaut jeder je Einzelne in die gleiche Richtung: nach vorne! Rechts und links, hinten und vorne ist völlig uninteressant – Er ist da! Und das ist auch die Kirche – Christus!

"Kirche" heißt: Das, was Du in der Schrift liest, was Dir offenbart ist, das ist keine Sache von vor zweitausend Jahren, sondern das ist hier und jetzt, das wird in die Gleichzeitigkeit und in diesen Raum hineingenommen. Das ist Kirche – der Gottmensch! Und die sich Ihm hingebende Menschheit – jetzt nicht im Sinne des Kollektiven, des Zahlenmäßigen, sondern im Sinne des Wesenhaften – ist Maria! Das ist die Kirche – aus und Schluß! – und niemals irgendein Kollektiv, eine Summe!

Wenn ich in der Kirche die Gemeinschaft der Gläubigen sehe, die man organisieren, arrangieren kann so unter dem Gesichtspunkt einer Kartei, dann ist die Kirche von dem Augenblick an für mich uninteressant, abstoßend! Das will ich gar nicht! Was ich da erlebe mit Hinblick auf Masse und Zahl, mit Hinblick auf die Waagerechte, mit Hinblick auf das Zusammenzählbare ist weithin höchst abstoßend! Die Kirche ist nur insofern in ihrem Anspruch berechtigt, als es heißt: Hier ist Christus Gegenwart, Papst, Bischof, Priester in Seinem Tun und in Seinem wesenhaften Verkünden! Alles andere, was sich da so herumkribbelt und tut an Anspruch und Anmaßung und Aufbegehren und Herrschaftsgelüsten und allen möglichen Suggestionen, das ist ein höchst abstoßender Kribbelkram! Und wenn ich die Kirche als eine "Gemeinschaft der Glaubenden" betrachte, dann ist freilich dem Unwesen des Ökumenismus Tür und Tor geöffnet!

Die Kirche ist Christus – AUS! Und Du stellst Dich Ihm und öffnest Dich Ihm – AUS! Und was sich dann in diesem großen Spannungsraum ereignet, das zählt, das wiegt in den Augen des Herrn. Das ist die wahre Lehre. AMEN.

 

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Du-zu-du
   
Menschheit
   
Liebe
   
Menschenwürde
   
Waagrechte
   
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