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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

Weihnachten 1986 (Engelamt)

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

die sich eingefunden haben zur Feier der heiligen Nacht. Seit Jahrtausenden versucht es der Mensch. Seit Jahrtausenden ist die falsche Hoffnung unterwegs, kommend aus einer unauslöschlichen Sehnsucht, aber falsch gerichtet und falsch gekoppelt. Es ist tragisch und zugleich eine grausige Komödie, dies alles zu beobachten, wie sich die Menschen verzweifelt bemühen, im Raume dessen, was sie sehen und hören, riechen, schmecken und tasten können, im Raume ihrer Erfahrung und Wahrnehmung das Heil, die Erfüllung ihrer Wünsche zu zimmern, zu bauen. Alles vergeblich! Denn alles, was der Mensch finden kann, steigern kann, bessern kann, es ist und bleibt rettungslos und logisch notwendig innerhalb der Grenzen und stößt auf Grenzen. Mag er zum Mond, zum Mars und wo immer hin fliegen und landen: Es ist immer Grenze! Es ist immer GENUG und wiederum GENUG und HALT und Aufhören und Ende!

Aber im tiefsten will der Mensch kein Ende. Er kann kein GENUG ertragen. Das Aufhören ist ihm zuwider – weiter, immer weiter! Aber das gibt es nicht, dieses "Und dennoch weiter ins Land, wo es keine Grenzen mehr gibt"! Der Mensch kann dieses Land nicht erreichen, das andere Ufer, von wo aus er in seiner Tiefe den erwartet, der da kommen soll aus dem anderen Bezirk, wo es kein Aufhören gibt und kein GENUG und kein Ende und kein HALT. Dahin richtet sich der erwartende Blick der Wissenden und der Weisen. Aber die allermeisten, auch noch so Gescheite, sind seit Aberjahrtausenden unweise und suchen das Heil mitten drinnen, innerhalb der Grenzen, und glauben durch Überwindung irgendeiner Grenze und von tausend Grenzen einmal jenes herrliche Land zu erreichen, wo es heißt: "Schreite nur voran. Es ist Dir keine Barriere mehr gesetzt." Aber dieses Land, vom Menschen her gesehen, ist unauffindbar!

Es gibt keinen Weg des Menschen zum Unendlichen! Es gibt keinen Weg des Menschen zur Ewigkeit!

Und nur die Ewigkeit und nur das Unendliche und nur das Aufhören aller Grenzen, das Aufhören des Aufhörens, das Enden des Endes kann die Seele des Menschen erfüllen und befrieden – nur dies!

Von sich aus ist der Mensch hilflos angewiesen auf die freie Entscheidung, die ausgeht vom absoluten Sein. Und wie wenig der Mensch voranschreitet und daß es überhaupt kein Voranschreiten gibt in punkto Menschenwürde, in punkto Sinnerfüllung des Menschenlebens: Wir sehen es doch in diesem und im vorigen Jahrhundert ganz besonders. Dieser Wahn, diese Verblendung, dieses Ausspähen in die falsche Richtung, dieses Darauf-Bestehen "wir geben nicht auf, es muß kommen", der ständige Ruf eines Bertold Brecht und anderer "Es wird die Zeit kommen, da der Mensch den Menschen ein Helfer ist!", dieses Nicht-kapitulieren-Wollen und Im-Wahn-hängenbleiben-Wollen.

Die Zeit wird nicht kommen, da "der Mensch den Menschen ein Helfer ist"! Es wird nicht die Zeit der Gerechtigkeit kommen!

Sie kann gar nicht kommen! Denn innerhalb unserer Grenzen und unserer begrenzten Lebensmöglichkeiten gibt es keine Gerechtigkeit und keine Erfüllung und kein Glück. Dieses Leben in diesem Fleische ist Leiden, weil es an Grenzen stößt. Bis zum letzten Tage wird darum der Mensch den Menschen nicht verstehen, und der Mensch bleibt in seiner Tiefe einsam. Und es gibt keine Schwesterseele, und es gibt kein Begreifen, einander Begreifen in der Tiefe. Das gibt es nicht! Man lasse in dieser Hinsicht alle Hoffnung fahren.

Es sei denn dies eine, dies eine WENN. Und das feiern wir heute in dieser Stunde. Denn dieses "Es sei denn", das hat sich ereignet und das verkünden wir: ER ist gekommen, ER ist erschienen, ER ist da – endlich! Aus den anderen Bereichen, von jenseits des Ufers, von jenseits von Raum und Zeit, aus der Ewigkeit eingebrochen: ER ist da!

Was der Mensch von sich aus nicht einmal erwarten darf geschweige denn fordern darf, das hat die freie Entscheidung des ewigen, des unendlichen Seins bewirkt. Er ist da, hier auf Erden, auf diesem kleinen, unscheinbaren Planeten, der auserwählt ist, den Menschen zu beherbergen, in dem alle Schöpfung versammelt ist, dieser Mensch, räumlich winzig gemessen an dem Weltenraum.

Und allein dies beweist, daß Raum, Raumesweite, Raumesentfernung gar kein Maß ist für Fortschritt des Menschen und Würde des Menschen. Die Landung auf irgendeinem Stern hat mit der Würde und dem Sinn des Menschenlebens nichts zu tun. Denn dieses winzig kleine Wesen, dieses unvorstellbar kleine Wesen im Weltenall: Wenn es nur einen Gedanken denkt, ist der schon gewichtiger als das ganze Weltall selbst! Denn der Mensch ist Geist und Ebenbild Gottes – aber aus sich nichts, ein offener, weit gespannter Geist, bereit, die Ewigkeit zu empfangen. Das ist dieser Mensch: ein großes Nichts, ein erregendes, ein dramatisches Nichts! Und wenn Gott kommt, kommt Er um dieses Nichts willen, um dieses aufgespannten Geistes willen, kurz gesagt: um Deinetwillen!

Denn der Mensch – das bist Du! "Die Menschen": das ist eine abstrakte Zahl, ein nicht realer Begriff. "Die Menschen", "die Menschheit", "wir Menschen": das ist alles nicht real!

Real bist Du! Wirklich bist Du! Das ist der Mensch. Du bist es! Denn Du empfindest, Du denkst, Du willst, Du erfährst, Du erleidest! Du bist Träger eines einmaligen Schicksals. Du lebst, und keiner kann für Dich, an Deiner Stelle leben, noch einmal leben, ersatzweise leben oder denken oder leiden oder empfinden. Die Wirklichkeit bist Du – NUR DU!

Und da hinein kommt jetzt Gott. Und Er ist da um Deinetwillen; endlich der, der nun einbricht, der von drüben kommt aus dem ganz anderen, von uns aus Unvorstellbaren, Unerfahrbaren, schlechthin niemals Wahrnehmbaren: da kommt Er her, aus der Ewigkeit zu Dir hin, in Dich hinein.

Und was soll's nun? Was bedeutet es nun für Dich? Was hat das für Folgen ganz real, für Dein reales Dasein? Hören Deine Leiden auf, alle Deine Vergeblichkeiten, all Dein Anstoßen an eherne Mauern? Hört das alles auf?

Noch nicht! Aber dieses "Noch" ist schon von unvorstellbarer Herrlichkeit. Unvorstellbar beglückend ist dieses "Noch nicht". Du hast vieles schon erlebt. Viele Hoffnungen sind zerschellt. Viele Illusionen zerstoben, aufgelöst ins Nichts. Härtestes mußtest Du schon durchmachen. Und mitten im Kreuze stehst Du. Unter jedem Dach waltet das Kreuz.

Was ist es nun mit dem, der um Deinetwillen zu Dir kommt und Dich meint, da Er als Kind – Fleisch geworden, Mensch geworden – Dir zulächelt? Was wird nun aus Dir? Wird es Dir besser gehen auf Erden?

Nein! Das alles hört noch nicht auf. Noch ist im Raume alles dessen, was Du wahrnimmst, Einsamkeit, keiner, der Dich versteht, keiner von den Begegnenden, die Dich selbstlos und ganz zuverlässig lieben können - kein Einziger! Aber in diese Deine Einsamkeit, da bricht Er ein! Und was Du auch alles noch durchmachen mögest, erleben mögest, was Dich noch schlagen mag an Härte und Schrecknis, es sei Dir gesagt: "Er ist schon hindurch! Er ist durch! Er kennt das alles. Er hat das alles schon durchlitten. Er weiß alles. Er ist der tiefst Vertraute. Er ganz allein weiß Deine Not und kennt sie zutiefst. Er ist auch der einzige, der sie wissen kann!"

Und es sollte dies ein beglückender Vorsatz sein in der heiligen Stunde, die wir begehen, ein beglückender Vorsatz: Entsage dem Wahn, Du könntest irgendwo Resonanz finden für Deinen Ärger und Deine Sorge und Deine Not. Es gibt keine! Menschen hören es sich an, bestenfalls, um dafür das Ihre bekannt zu machen. Aber inwendig, um Deinetwillen dies alles erleidend, inleidend – nur Christus, nur Er, sonst niemand! Entsage dem Wahn! Aber es ist so herrlich, daß wir diesem Wahn entsagen können; denn Er ist es ja, ganz allein Er, tief drinnen.

Und ich sagte "Er ist schon hindurch". Er kommt aus dem Lande der Ewigkeit, wo es keine Grenzen gibt, wo Unendlichkeit sich weitet, Weite ohne Ferne, Nähe ohne Enge. Da kommt Er her und geht nun ein in Dich und in alles Deine und kommt hindurch und reißt Dich mit. Noch eine kleine Weile und Du mußt, was Er längst erlitten, zu einem kleinen Teil, zu Deinem Teil leiden, der nur Ihm bekannt ist. Denn Dein unverwechselbarer, unwiederholbarer, unvergleichbarer, unersetzbarer Teil ist nur Ihm bekannt, von Ihm tief bewältigt, verstanden. Darum ist Er der Tröstende, Bergende in Dir. Und Er sagt Dir: "In Deiner Tiefe bist Du schon der Sieger über alle Schlachten, die Du liefern mußt, der Sieger über alle Bedrängnisse, die Dich heimsuchen. In Deiner Tiefe bin Ich nämlich da!" Und wenn einst dieser quälende Leib von Dir abfällt, dann darfst Du atmen die Wonnen dieses heiligen, ewigen Landes. Dort ist Ekstase und Hingabe ohne Ende am Ende. Das ist Dein Los! Er ist gekommen, Dir Dein ganz großes Glück mitzuteilen, daß Du eingespannt bist in den großen Kreislauf.

"Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen. Ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater." Und wen nimmt Er mit? – Dich! Und Du willst es ja.

Also: Es ist jetzt schon alles gut. Das Kind, das traute, herzige, zärtliche, kosebereite Kind garantiert Dir die ewige Kosung im Schoße des Vaters, wo der Sohn wohnt, wo der Geist weht, wo Du jetzt schon bist und das Du einst mit erwachten Geistessinnen erfahren wirst. Denn bei der Krippe kannst Du nicht stehenbleiben! Du mußt zurück in Deinen Tag! Aber das Kind geht Dir nach. Es wird groß. Es nimmt zu an Alter, Weisheit und Gnade vor dem Vater und vor den Menschen. Es steigt ein in alle Werktage und alle Nächte und alle Stunden Deiner Einsamkeit und Deiner Bedrängnis. Es ist immer da und immer nah und hat schon Bahn und Sitz und Thron für Dich bereitet. Es ist Dir alles gesichert – denn Du willst ja! AMEN.

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Begrenztheit
   
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