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actio spes unica Pfarrer Milch St. Athanasius Bildungswerk Aktuell

Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

Sonntag nach Christi Himmelfahrt 1987

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

man kann mich fragen: "Du sprichst große Dinge aus. Du sprichst vom Glauben, daß er den Menschen umwandle, entflamme, so daß es um ihn geschehen ist. Du sprichst davon, daß der Glaubende sein Leben in Einsatz bringt, ins Totale, auf Tod und Leben, auf Gedeih und Verderb und daß der so Glaubende unwillkürlich eine gewaltige Ausstrahlung hat. Was soll ich denn jetzt machen? Schöne Worte, aber wie komme ich dahin?"

Zunächst einmal, und das ist das alles Entscheidende: es verstehen, gar nichts zu machen! Das ist die erste Kunst, die wir lernen müssen. Und das wird für den einen und anderen gar nicht leicht sein, auch angesichts seiner gewohnten Umgebung und seiner täglichen Gewohnheiten, auszubrechen, durchzubrechen ins Nichts. Genau das ist es, woraus die große Chance entsteht, ein Glaubender zu werden. Einmal eingehen ins Zeitlose, in eine satte Zeit: das muß ein ungeheures Begehren sein in der Seele der Menschen, das zeitlose Bewußtsein ist die Quelle jeder wahren Kultur. Das ist das, was uns erneuern wird. Also darauf aus sein, für sich selber eine ganz lange Zeit zu gewinnen. Und dann in die Stille und in die Einsamkeit gehen – wirklich. Und dazu gehört eine lange Zeit, ohne Termin, ohne Abschluß, ohne auf die Uhr schauen zu müssen. Und was soll man in dieser Zeit tun, in dieser totalen Stille und Einsamkeit? – Gar nichts. Nichts sehen, nichts hören, kein Bild, keine Musik, keinen Text, nichts denken, nichts wollen – gar nichts –, keine Anstrengungen machen. "Was soll ich denn jetzt denken? An was soll ich den jetzt denken?" – An gar nichts. Da wird es zunächst einmal so sein, daß all das, was Du wochenlang, monate-, jahrelang niedergeknüppelt hast, hervorkommt, daß tausend Erinnerungen wach werden, Ärger, Zorn. Alles Zusammengepreßte, Niedergeknüppelte, Unterdrückte kommt dann hoch. Laß es hochkommen! Gar nichts – dagegen tun; hochkommen lassen. Das kann furchtbar sein. Aber es muß aus Dir herausbrechen, alles raus, damit es auch in Dir leer wird. Und dann gar nicht auf sich achten.

Ist das jetzt Sünde? War das Sünde? Wir sind ein gequältes Geschlecht. Von morgens bis abends gehen wir dagegen, gerade wir, die wir uns verpflichtet fühlen, gegen die Sünde zu kämpfen. Und es wird uns keine Zeit gelassen, irgend etwas aufzuarbeiten, mit etwas fertig zu werden. Keine Müdigkeit vorschützen, weiter, immer weiter, darüber hinweggehen, es wieder wegstampfen. Dauernd stampfen wir etwas in uns hinein. Und innen sind wir gepreßt und gequält und verklemmt. Und dann zwingen wir uns ein Gebet auf, mit Gewalt. Aber mit dieser Gewalt kann es noch kein eigentliches, großes Gebet werden, und es kann nicht das große Glauben entstehen, der Glaube und Dein Glaube. Da mußt Du zuerst einmal ins Nichts. Das ist etwas Neues und absolut Notwendiges. In diesem Nichts etwas zu erwarten. "Irgendwann muß es doch kommen. Wann kommt es denn?", dann kommt es nicht. Alles, was man erwartet, kommt deshalb nicht, weil man es erwartet. Die Erwartung blockiert ihre eigene Erfüllung – ein unumgängliches Gesetz. Also gar nichts erwarten, nichts wollen, nichts denken wollen. Die Gedanken kommen. Laß sie kommen! Die Gefühle kommen und zwar übermächtig. Wie gesagt, es bricht aus Dir heraus. Und beim zweiten-, beim drittenmal spätestens, wird es garantiert geschehen, dieses "Ich bin da", dieses Wissen, daß Er da ist.

 

Sehen Sie, theoretisch sind wir uns über vieles im klaren, aber eben theoretisch. Faktisch sitzt doch im Hirn, mindestens im Hinterkopf, all das Falsche. Da ist z.B. das mit dem Glauben. Wir wissen, daß Glauben sicherstes Wissen ist – und wissen es doch nicht und sind so im Unterbewußten, im Halbbewußten der Meinung, Glauben sei doch nicht so etwas ganz Sicheres und ganz Festes. Aber wenn Glauben nicht das festeste, allersicherste Wissen ist, dann ist der Glaube sinnlos. Glauben ist das absolut sichere Wissen. Da hat man heute etwas dagegen. Per Wust schrieb einmal ein Büchlein "Ungewißheit und Wagnis". Er hatte immer geistige Bauchschmerzen, quälte sich herum. Es ist heute, abgesehen von ihm, so eine verbreitete Koketterie, mit Ungewißheit und Wagnis herumzuspielen. Da kam er eines Tages zu dem urgesunden Bischof von Galen, und der sagte ihm: "Wissen Sie, für mich ist der Glaube weder Ungewißheit noch Wagnis." Das ist aus einer urgesunden Gesinnung heraus geantwortet, einer erfrischenden Gesundheit. Selbstverständlich gibt es eine abstoßende Sicherheit, jene Selbstsicherheit, die mit sich zufrieden ist und dem eigenen Glauben, dem eigenen Gelingen und sich der Richtigkeit der eigenen Lebensführung sicher ist. Von solchen Menschen sagt man: Sie sind mir zu sicher. Das ist etwas anderes. Aber je sicherer und fester Dein Wissen um die Wahrheit ist, um so weniger wirst Du Dich damit nach außen hin aufspielen. Der wahrhaft Wissende spielt sich nicht auf. Es ist bei ihm keine Prätention. Dem man es anriecht, der so selbstbehäbig mit seiner Glaubenssicherheit einherschaukelt, bei dem stimmt es natürlich nicht. Es muß innerste Sicherheit und wirkliches Wissen werden. Und das ist es bei uns nicht. Und deshalb ist es kein Glaube. Und es ist bei uns kein sicherstes Wissen, weil wir nicht mehr die Gewohnheit haben, ins Nichts zu gehen, zwischen vier kahle Wände, durch nichts fixiert, was von außen ist, durch gar nichts, durch keine Vorstellung, durch keinen Selbstzwang, durch kein Diktat, durch kein selbstauferlegtes Diktat, durch gar nichts. Und wie gesagt: Dann, irgendwann – ich darf es nicht erwarten, aber es kommt: – "Ich bin es. Ich bin da." Das sind die großen Augenblicke, gerade dann, wenn der Betreffende nichts erwartet hat, da, wo er allein war und im Nichts, auf einmal – im Dornbusch: "Ich bin, der ICH BIN. Höre Israel, höre!" Am Berge Horeb: Auf einmal war es da. Elias erwartete Ihn im großen Brausen von Erdbeben und Gewitter und Sturm und Feuer, aber da war Er nicht. "Nathanael, als du unter dem Feigenbaum warst, ehe Philippus dich rief, sah Ich dich." Unter dem Feigenbaum, da war so etwas. Da werden große Augenblicke, mitten im Nichts, im unerwarteten, im erwartungslosen, im unaktiven Zustand – jawohl, im passiven; "passiv", hier ist es richtig angebracht –, da ist Er auf einmal da. Dieses Sich-ganz-Hinhalten, völlig absichtslos, ohne irgend etwas – es gehört schon eine ungeheure Willenskraft dazu, da durchzubrechen. Es ist ein Durchbruch, Durchbruch ins Nichts, das, was uns heute am allerschwersten fällt.

Wie gesagt, keine Faulenzerei. Faulenzerei ist Beschäftigung mit diesem und jenem – Zeitvergeudung! –, auch mit eingebildeten Wichtigkeiten. Das ist Faulenzerei. Wenn junge Seminaristen, statt zu studieren, sich auf den Hosenboden setzten, bis ins Detail Vorbereitungen treffen für irgendeine Jugendarbeit, das ist Faulenzerei. Oder weite Reisen unternehmen, viele Reisen, statt am Schreibtisch zu sitzen und Aktenstudium zu machen: das ist auch eine unerhört geschäftige Art der Faulenzerei. Aber ins Nichts zu gehen, das ist ein Durchbruch, und in diesem Nichts aushalten. Das ist keine Faulenzerei. Das ist Dein Raum. Da bist Du unbesetzt von diesem und jenem. Da wartest Du, ohne zu erwarten. Das ist ein Riesenunterschied. Warten, im sicheren Bewußtsein warten. Vielleicht kommt es schneller, als Du denkst. Nur darfst Du nichts erwarten. "Ich bin es. Ich bin da. Ecce, adsum." Das ist das, was fehlt, was weithin unbekannt ist, Dein erstes und wichtigstes Recht. Du hast ein Urrecht. Nicht Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und all diese Rechte, die heute aufgezählt werden, Recht auf Wohnung, Recht auf Urlaub, angemessene Entlohnung. Gut, darüber kann man sich von einem gewissen Punkt an unterhalten. Aber Dein Urrecht ist das, wovor die allermeisten sich drücken: dieses Nichts, diese Stille. Und da müssen auch diese – was ich tausendmal, abertausendmal wiederhole, weil es so wichtig ist zu wiederholen – Vorstellungen richtig bewußt werden: Glauben ist Wissen; zweitens: Der Himmel ist in Dir. Auch das, was ich immer wieder sage, ist theoretisch gewußt. "Bleibt in Mir und Ich bleibe in euch." Diese neue, allein von Christus, vom Gottmenschen gebrachte Dimension ist keine Privatspleen von mir. Das mag sich so anhören. "Jetzt kommt er wieder mit seinem Ineinander." Man müßte noch viel öfter damit kommen. Denn es wird nicht realisiert. Diese "In", das wird doch weithin halbbewußt, unbewußt so aufgefaßt, als "im Herzen bewahren". Wie dieser ganz miese übliche Trost bei Beerdigungen: "In unserem Herzen wirst du weiterleben." Grausiger Scheintrost! Wenn der Betreffende sonst nicht weiterlebt als in meiner Erinnerung, und auch das ist übrigens gelogen, dann ist es eine absolute Trostlosigkeit. "Seine Worte sollen in mir bleiben. Ich soll ihn im Gedächtnis bewahren, an ihn denken. So ist er in mir, in seiner Gestalt, in seiner Liebe, in seinen Taten und Werken, im Glauben." – Nein! Er, ganz real er ist in Dir, und Du bist in ihm – real, er, die Person, als Person ist in Dir. Der Himmel ist in Dir. Tausendmal wiederhole ich es. Himmel ist ein Wort für zwei völlig verschiedene Begriffe. Der Himmel mit Wolken und Sternen und Sonne und Mond usw. ist etwas ganz, ganz anderes als der Himmel, von dem wir sagen: Ich will einmal in den Himmel kommen; der ist in Dir. Gott ist in Dir, die Dreifaltigkeit, die Ekstase unvorstellbar nahe. Das mußt Du wissen. Und Du wirst es nicht durch irgendein Hochgefühl, durch ein Rieseln über den Rücken, auch nicht durch eine Vision, auch nicht durch eine Audition, Du wirst es im Geiste wissen, auf einmal: Er ist da. Und dann, was dann tun? – Gar nichts, auf diesem Wissen ausruhen, und dann weiter: ich bin Dein, Du bist mein. Dann wird es wie zwischen Liebenden, die auch weithin nichts sagen, nur immer dasselbe. Und das muß gesagt werden, immer dasselbe, immer wieder: "Ich liebe dich." Sie wissen, daß sie sich lieben. Aber es ist notwendig, daß sie es sich immer wieder sagen.

Dann das andere: das Gebet. Ich bete ein Gebet. Beten ist ein Transitivum, ein transitives Zeitwort, und das Gebet ist das Akkusativobjekt, etwas Sächliches. Da wird ein Gebet gebetet. Aber es wird nicht zu Ihm gesprochen, und ich lasse mich nicht von Ihm ansprechen. Es ist keine Unmittelbarkeit, kein personales Vollziehen. Das ist so ähnlich, wie wenn zwischen Liebenden er zu ihr oder sie zu ihm sagt: Hast du schon dein "Ich liebe dich" gesagt. Dann wäre das "Ich liebe dich" das Akkusativobjekt und das "Sagen" das transitive Zeitwort, das den vierten Fall regiert. "Ich liebe dich" ist dann ein ES, das vollzogen wird, aber kein personaler Vollzug zu ihm, zu ihr hin. Genauso ist es weithin mit dem Gebet. Ich bete ein VATER UNSER. Das VATER UNSER ist das Objekt, etwas Sächliches. So sind wir eingezwängt ins Sächliche, und der Atem wird nicht frei für das DU. Deshalb mußt Du ins Nichts. Du wirst dann auf einmal alles ganz anders verstehen, wenn Du die Schrift aufschlägst, wenn Du Texte benutzt, vor allem die Psalmen. Die Psalmen machen neunzig Prozent des Gebetes der Mönche, der Nonnen und der Priester aus, des Breviers, des Chorgebetes. Psalmen sind Urgebete der Menschheit, in der Erwartung des Kommenden, in der Vorwegnahme der Erlösung. Aber in alldem, was Du dann tust, wirst Du des Großen gedenken. Und Du wirst dann mit Freude immer wieder in das Allerdeinigste gehen, in Dein Urrecht. Dur wirst immer mehr darauf erpicht sein, dahin zu entfliehen, in Dein Nichts, wo Er waltet und Er endlich Raum gewinnt zu Dir hin, in Dich hinein. AMEN.

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Glaube
   
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