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Niederschrift der Predigt von Pfarrer Hans Milch
Fest der heiligen Familie 1987
Schild der actio spes unica

Meine lieben Brüder und Schwestern,

 

Familie!

Wie ich im Sonntagsbrief schreibe, ein nicht bewältigtes Kapitel, in der Spiritualität der Kirche noch lange nicht aufgearbeitet, in der Substanz noch brachliegend im Bewußtsein der Menschen! Es wird heute viel davon geredet. Es ist alles richtig: "Sie beruht auf dem Sakrament der Ehe, die christliche Familie, eben die wahre, erfüllungsträchtige, wesenhafte Familie, und dass in ihr Treue und Zucht, Gehorsam wichtig sind und notwendig." Das alles ist richtig –aber zunächst einmal sind das nur Klischees! All die schönen Sprüche "Geteiltes Leid ist halbes Leid", "Geteilte Freude ist doppelte Freude", "Eigener Herd ist Goldes wert", "Trautes Heim, Glück allein" –damit ist gar nichts gesagt und nichts getan! Vor allem Freud und Leid sind Extremsituationen, die gar nicht typisch sind für den Gang der Ehe, auch nicht im Laufe dessen, was Ehe mit sich bringt. Freud und Leid sind Extremfälle. Normal sind der Dienstag und der Mittwoch, der Alltag!

Wir werden in diesem und im kommenden Jahr, wahrscheinlich im kommenden Jahr, in der Bildungsarbeit diesen Schwerpunkt setzen: Ehe, Familie, Erziehung und alles, was damit zusammenhängt, damit das einmal in Ruhe bearbeitet wird. Jetzt, wie schon öfters, Andeutungen darüber.

Die Ehe, zunächst einmal, ist alles! Sie ist keine Sparte im Leben des Menschen –Ehe und Familie –, sondern sie ist das Leben mit allem! Und alles muss deshalb in die Familie hinein. Zunächst einmal in die Ehe, denn das, was Familie ist, hängt an dem, wie Ehe sich gestaltet. Ich wiederhole mich. Es ist ein Irrtum zu meinen: Hier ist der Beruf, da sind die Freunde und dort ist auch die Ehe. Die Ehe wäre dann ein "Auch", ein Gebiet unter anderen.

Nein! In die Ehe muss alles hineinfließen – alles! – wenn anders sie sich in Wahrheit verwirklichen will! Und da ist ein Wort wichtig: Liebe. "Liebe" ist ja schillernd. Sie muß konkret bezeichnet werden. Und da steht ein Wort am Anfang: das "totale Ernstnehmen"! Ohne das "totale Ernstnehmen" des Partners – jawohl, man kommt um das Wort "Partner" und "Partnerschaft" nicht herum, obwohl das heute so vergriffen und verbraucht und mißbraucht und entstellt wird; wir sagen dennoch: "Partnerschaft" –, Ernstnehmen, den anderen um seinetwillen ernstnehmen, auf ihn eingehen, in ihn eingehen, ihm Einlaß gewähren in sich und in ihn selber eingehen – was nur in Christus möglich ist! – der die Tür ist.

"Ich bin die Tür", das heißt: "Durch Mich und in Mir könnt ihr ineinander geraten und ineinander leben", sich in den anderen hineinversetzen und von sich selber absehen und den anderen erheben wollen, ihm Bedeutung, übernatürliche, ewige, gewichtige, zeitlose, aber für die Zeit erhebend, Bedeutung verleihen wollen. Das ist unabdingbar. Der Ehepartner ist nicht im Raume der Lebensbeziehungen eine Beziehung unter anderen, für bestimmte Daseinszwecke gut, für bestimmte Entfaltungsbereiche des menschlichen Seelen- und Leibeslebens bereitet – NEIN, der Partner ist alles! Und mein ganzes Dasein, mein Schicksal, meine Interessen, meine Daseinsinteressen strömen in ihn ein! Er ist der Ansprechpartner meines ganzen Lebens – selbstverständlich von Nebensächlichkeiten abgesehen! Das "totale Ernstnehmen", sich für den Partner verschwören mit Haut und Haaren, mit allen Gedanken, mit allem, was einen packt und fesselt, ist gefordert! Das ist einmal die Voraussetzung!

Und von daher ist die Ehe das Übungs- und Testgelände der Liebe und des Zwischenmenschlichen überhaupt. Unter dem Druck des Tages, unter dem Druck des Alltages ist es besonders schwer, zu lieben, Liebe aufrechtzuerhalten. Denn der Alltag ist liebesfeindlich gestimmt. Er kommt aus der umgekehrten Richtung wie die Liebe. Der Alltag ist eine Folge der Erbsünde und kommt aus der Urangst, dem Selbsterhaltungstrieb. Die Liebe dagegen kommt aus dem Urvertrauen und dem Hingabetrieb. Und nun muss die Liebe im Alltag sich wahren und entfalten, was sehr schwer ist, was ständiger Selbstüberwindung, Selbstkritik bedarf und der Übung im Kleinen. Das Test- und Übungsgelände der Liebe sind die Kleinigkeiten, denn sie machen die Atmosphäre – und Atmosphäre ist alles!

Im großen und ganzen stimmen die meisten Ehen. Da ist im großen und ganzen wohl alles in Ordnung. Aber das ist substantiell und wesenhaft zu wenig! Wenn es nur im großen und ganzen stimmt, stimmt es wesentlich eben gar nicht! Es muss in den sogenannten "Kleinigkeiten" stimmen – das ist es! –, in den Millimetern und Sekunden, im WIE, im WO: wie man etwas sagt, ob man etwas sagt, wie man zuhört, ob man zuhört, was man für ein Gesicht dabei macht! Das prägt die Atmosphäre!

Das ist sehr schwer! Das ist hart! Das kostet Anstrengung! Ein großer Irrtum zu meinen, die Familie sei das Feld des Sich-Gehenlassens. "Irgendwo muß man sich doch mal wo gehenlassen können." Unter einem gewissen Aspekt mag das angehen, muss es angehen. Im übrigen: Dieses einander "Ganz-Ernstnehmen", das soll nicht zum Aufgesetzten verleiten, zum Gemache, dass man immer mit einem ernsten Gehabe einhergeht. Das ist Unsinn! Der Mensch bedarf natürlich der Entspannung und braucht auch das Banale zwischendurch. Wir sind nun mal so konstituiert – als Folge der Erbsünde –, dass wir gewisse Entspannungen brauchen, um auch schon mal zu blödeln und zu spaßen. Klar. Alles Auffällige ist Krampf! Davon ist nicht die Rede. Sondern von innen her, aus der Grundposition meines Daseins, meines wirklichen, schicksalhaften Daseins muss ich den anderen zur Substanz meines eigenen Daseins und Schicksals erheben und mich in ihm!

Das muß überlegt sein. Das sind große Worte. Ich weiß. Du und ich, wir haben noch nicht damit angefangen, mit dem wirklichen "Ernstnehmen"!

Und ich sage: das Testgelände. Da erweist es sich auch, wie man anderen begegnet – Ernstnehmen! Und gerade in der heutigen Zeit, wo dauernd von "Humanität" und "Toleranz" und "Einander verstehen" und "Füreinander da sein" die Rede ist, ist das ungeheuer im Schwinden. Wenn man so rundum blickt, in den sozialen Institutionen, Krankenhäusern usw., Altersheimen – von denen ganz zu schweigen! – das ist überhaupt die Niederlage auf den Katalaunischen Feldern, die Altersheime – tödlich, Hölle!

Aber "das Ernstnehmen"? – Das schwindet. Da ist Schwindsucht. Es ist sehr viel Versorgung heute; aber Versorgung bringt Entmündigung mit sich. Versorgung ist sächlich. Und da es Institutionen sind, sind sie auch addierend, zusammenzählend, nebeneinanderstellend, im Katalog aufführend. Da ist der eine neben anderen. Und schon ist es mit der wahren Liebe nicht möglich. Denn die wahre Liebe geht in den anderen ganz ein. Die wahre Liebe sieht im anderen das große, unteilbare NUR - um des anderen willen! Das ist schwer – aber das erst ist die Liebe! Aber einer neben anderen, die berühmte "Mitmenschlichkeit", die da zählt und addiert und subtrahiert, da ist der einzelne natürlich ein ES, kein ICH und kein DU!

Da ist übrigens auch ganz wesentlich, inhaltlich dazugehörend, logisch notwendig, die volle Ebenbürtigkeit der Frau – was mit Emanzipation nichts zu tun hat! Eine Frau ist als Frau dem Manne ebenbürtig! Da war jahrhundertelang Ebbe und Muff. Das ging irgendwie in geschlossenen Kreisen, Lebensformen, Dörfern und Gemeinden. Da konnte keiner ausbrechen. Und da ging es eben so hin, in harter Arbeit und Mühe. Das hatte seine Vorteile. Aber im eigentlichen Sinne gelebt wurde Ehe und Familie auch nicht, vor allem unter dem Aspekt, dass der Mann über der Frau stehe und, was man heute immer wieder hört, die "hierarchische Ordnung der Ehe". Das ist ein barer Unsinn! In der Ehe ist keine Hierarchie!

Hierarchie ist innerhalb des Klerus. Papst, Bischöfe, Priester: das ist Hierarchie, heilige Über- und Unterordnung, und zwar um der Identität, um der Christusidentität willen! Dieser Gehorsam im engeren Sinne ist auf dieser Seite, auf der Seite des Bräutigams notwendig: der Papst für die Erde, der Bischof für seinen Sprengel, der Pfarrer für seine Pfarrei. Und damit es identisch sei, muss Über- und Unterordnung herrschen im Sinne des Gehorsams, im engeren Sinne Gehorsams: Befehl und Befolgen des Befehls.

Aber ein jahrhundertelanger Irrtum war, daß in der Über- und Unterordnung der Ränge, eben in der Hierarchie, die Gläubigen die unterste Stufe einnehmen: Der Bischof gehorcht dem Papst, der Priester dem Bischof und die Gläubigen gehorchen dem Priester. Das ging so jahrhundertelang, dieser Unsinn. Das ist falsch!

Die Braut, das ist der getaufte und gefirmte Mensch, der Ehepartner. Und Christus ist gekommen, um die Menschheit zu Seiner Höhe emporzuheben und damit die Frau zur Höhe des Mannes. Christus ist gekommen, um das Wort "Er soll dein Herr sein" aufzuheben. Das ist der Wesensinhalt der Erlösung!

Dort ist die Gemeinde, der getaufte, der gefirmte, der erlöste Mensch Partner, bräutlicher Partner des Priesters. Er hört den Priester reden. Und ich verstehe den Redenden, indem ich mich auf seiner Höhe befinde! Ich kann nur das in mich aufnehmen, auf dessen Höhe ich stehe! Ich kann nur Musik genießen und bewundern, wenn mein Geist der Musik angemessen ist. Goethe sagt: "Wär nicht das Auge sonnenhaft, wie könnt die Sonne es erblicken? Läg nicht in uns des Gottes eigene Kraft, wie könnt uns Göttliches entzücken?" Da ist Gehorsam im weiteren Sinne des Wortes fällig – nicht im Sinne des Strammstehens und des Befehlsempfangens, sondern im Sinne des Hörens, Gehorsam als Hörseligkeit! Und darin liegt Anspruch und Forderung von seiten des Getauften. Wenn es je "Mutigkeit" gibt, dann ist es das Fordern: "Wir wollen darüber hören, mehr und mehr!" Unersättlich ist der Hörende. Der steht nicht stramm und gibt sich zufrieden: "Jawohl, Herr Pfarrer, wie sie predigen, ist es jedenfalls richtig. Mehr brauchen wir auch nicht. Hauptsache anständig."

Wenn natürlich im Raum der Kirche jahrhundertelang so verfahren wurde – von Ausnahmen abgesehen! –, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn irgendwann die Katastrophe einbricht. Die hat dann leichte Fahrt und freie Fahrt!

Sehen Sie, so ist es auch in der Ehe: Mann und Frau sind Partner, ebenbürtig! Der Mann ist nicht hierarchisch der Frau übergeordnet. Das ist Unsinn! Und da wir von christlicher Ehe, von christusgestifteter, gottmenschlich bestätigter und durchformter Ehe sprechen, heißt das, daß eine gemeinsame Begeisterung da ist, daß Gespräche stattfinden, was so selten ist zwischen Eheleuten. Ich kenne in der Tat Ehepaare, die sich unterhalten, die wirkliche Gespräche führen. Das gibt's schon. So ist es auch nicht. Aber das ist eben relativ sehr selten! Das werden Sie überall bemerken, wo Sie hinschauen. Aber es sollte so sein: das Gespräch – ein Wesensbestandteil! – Mitteilung, teilnehmen lassen, an dem, was einen bewegt, auch den anderen teilnehmen lassen und ganz einbeziehen und sich vom anderen einbeziehen lassen – ganz und gar! Ehe steht im Zeichen der Totalität! Also Begeisterung. Und wenn beide begeistert sind, dann wird man es merken.

Und wer soll es vor allem merken? – Die Kinder. Und wenn die es merken, dann ist das Entscheidende getan für die Erziehung. Das ist ja die Substanz der Erziehung. Die Erziehung ist nicht im wesentlichen das, was Eltern den Kindern sagen, sondern was sie einander sagen! Und die Kinder merken es, die sprechen von etwas und sind davon entbrannt. "Ich versteh noch nichts davon. Aber da will ich auch hingehen." Sie sperren Mund und Nase auf und staunen. Da ist im Grunde alles getan, wenn das da ist! Das andere ergibt sich. Erziehung ist Leidenschaftsmitteilung, Existenzmitteilung, Begeisterungsmitteilung – meistens verwechselt mit dem berühmten "Ziehen". "Ziehen": das ist Instinktlenkung im Zeichen der Disziplin, ist Beibringen von Formen – aber doch nicht Erziehung! Erziehung ist die Mitteilung großer geistiger Leidenschaft! Das setzt das "Ziehen" voraus.

Viele sind nicht un-ge-zogen, aber un-er-zogen – unschuldigerweise! Ich spreche auch in durchaus unschuldiges Auditorium hinein, denn es ist ja nie richtig gesagt worden. Mit Sprüchen ist da nichts getan. Und die Erziehung steht im Zeichen zweier Pole: Autorität und Intimität! Beide sind aufeinander hingeordnet, ergeben sich auseinander und hängen voneinander ab. Autorität ohne Intimität – Intimität ist eben das Einander-Zuraunen im Zeichen der Zärtlichkeit, das Innige, das Sagen, das Mitteilen –, ohne die Intimität ist die Autorität etwas sehr Unproduktives! "Autorität war ja immer in früheren Zeiten. Heute vermissen wir sie." Aber für sich gesehen: Autorität – das ist ein Monstrum! "Zucht und Ordnung, das war ja jahrhundertelang, Disziplin. Da hätte sich mal einer wagen sollen" usw., usw. Und was kam dabei heraus: Mitläufer und Knechteseelen, JA-Sager und Kopfnicker ohne Rückgrat, bei all dieser "Autorität" in Anführungszeichen! Ohne Intimität ist Autorität eben in Anführungszeichen zu setzen! Allerdings ist Intimität ohne Autorität wiederum gar nicht möglich, weil zweifellos das Vorgegebene, Bindende da sein muss: die Disziplin, die Zucht, dass das Wort gilt und wiegt, was die Autorität sagt. Sonst ist die Intimität ohne Autorität ein schwiemelndes, schmusiges Nichts. Beides gehört zusammen! Nichts ohne das andere! Darauf baut sich dann die Erziehung, das Heranwachsen.

Und was wächst heran? – Das ICH-Bewußtsein, der Selbststand, das Selbstbewußtsein, das Bewußtsein der Unverwechselbarkeit, Unaustauschbarkeit, Unersetzbarkeit, des eigenen Seins. Familie muß ein Beet sein, aus dem das Bewußtsein des Eigenen erwächst! So ist Familie souverän, ein souveränder Bezirk. Der Staat hat der Familie zu dienen! Und in der Familie kommt "Volk" und "Welt" zum Tragen. In die Familie strömt ein der Kosmos. Die Familie hält Ausschau über die Völker hinweg und ist Quelle der Hoffnung, Station der Aussendung – "Ite missa est". Das ist Familie!

Das sind große Worte. Ich weiß es. Aber wir kommen um diese großen Worte nicht herum. Die kennzeichnen das Wesen. Und wenn man es in der Familie erfährt, wird man dann auch draußen "das Ernstnehmen" weitergeben, Ernstnehmen, Ehrfurcht – übrigens auch vor dem Kind, vor dem kleinsten Kind!

Ernstnehmen des Kindes! Es ist sehr töricht, wenn man kleine Kinder so gering ansieht wie Nebensächlichkeiten, Kleinigkeiten, über die man lacht und sich nur amüsiert. Da ist immer so die Reaktion gegenüber kindlichem Gebaren das Lachen, Heiterkeit bis ins Letzte. Warum eigentlich? – Ich finde es sehr erregend, einem Kind zu begegnen. Und ich finde im unbefangenen Blick des Kindes Vorbehaltlosigkeit. Die Offenheit eines kindlichen Gesichtes ist immer ein Vorwurf. Man ist immer beschämt im Angesicht eines unbefangenen Kindes, das einen anguckt.

Ehrfurcht, Ernstnehmen! Man vermißt es heute gegenüber alten Menschen, gegenüber Patienten. Da ist immer so eine Abspeisung. So ein paar vorgefertigte, vorprogrammierte Brocken werden da hingeworfen, angeblich aufmunternd. Im Grunde weiß jeder, der ein bißchen sensibel ist, wenn er das hört da: "Jetzt bist Du auch einer, wirst abgefertigt, bist die Nummer XY unter anderen. Unter ferner liefen rangierst Du." Das tut einem weh, wenn man so das soziale und sozialfürsorgliche Gebaren weithin bemerkt: ohne wirkliches Hinhören, Einfühlen, Ernstnehmen, "Ganze Sätze"-Sprechen. Familie ist der Mutterboden von alledem! Möge der Geist es wirken.

AMEN.